Der gute Rat
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Ein einprägsames Erlebnis auf meinem Erkenntnisweg war der Besuch bei einer Bekannten. Nicht in ihrem Bett zwischen ihren schwabbeligen Schenkeln, sondern ich stand anständig bekleidet im aufgeräumten Wohnzimmer. In der Küche brutzelte etwas Gutes (kochen konnte sie wenigstens essbar, wenn sie an gute Zutaten kam) und ich spazierte zu einem Bücherregal an der Wand. Mit wachsendem Erstaunen ging ich die Bücherrücken durch. Es waren Ratgeberbücher, zig Ratgeber, dazwischen einige Manuals für Geräte in der Wohnung. Ansonsten war da nicht viel. Diese Bekannte war ganz offensichtlich jemand, der für alle Lebenslagen und alle Geräte um sich herum einen Ratgeber benötigte, einen großen Bruder oder einen Führer, der ihr ständig half, ihr Leben in Ordnung zu bringen.
Nach ein paar unverfänglichen Fragen zu ihren Büchern stellte sich noch etwas anderes heraus: Sie hatte viele gar nicht gelesen. Ausreichend war offenbar bereits die Möglichkeit, sich Rat zu holen oder die Möglichkeit, irgendeines der täglichen persönlichen Probleme anzugehen. Das aber planmäßig anzugehen, sich wirklich Wissen anzueignen, versuchen zu verstehen und eigene Schritte voran zu machen, dazu hat sie es nicht gebracht. Dieses Muster ist so häufig bei vielen Frauen, dass es den Normalfall darstellt. Immerhin eines haben die Bücher bewirkt: Händler, Verlage, Finanzamt, die Autoren und einige Nebenfirmen mehr haben prächtig damit verdient.
Jahre später lernte ich eine reifere Dame kennen, deren Ehemann die meisten Jahre seines Lebens Autor derartiger Ratgeberwerke war, damit tatsächlich gut verdiente und nach wie vor ein glänzendes Leben führt. Der stand definitiv auf der richtigen Seite, nämlich auf jener der bezahlten Ratgeber. Er ist ein Lebemann, wohnte schon auf jedem Kontinent und muss offenkundig intelligent sein, denn er lehnte Kinder immer ab. Er ist kinderlos und konnte das auch so durchsetzen. Damit konnte er ein Leben in der Rahmschicht führen, statt immer nur durch Magermilch zu tauchen wie die „pflichtigen“ Loser.
Der gute Rat in Buchform (egal ob digital oder auf Papier) ist nach wie vor ein Milliardengeschäft, ein Genre, das extrem gut verkaufte Werke erlebt hat. Bücher wie „Denke nach und werde reich“ von 1937 wurden sage und schreibe 60-Millionen Mal verkauft, noch deutlich häufiger als der nächstplatzierte Bestseller „Hite-Report: Das sexuelle Erleben der Frau“ von 1976. Die „Reports“ sind schwüle feministisch orientierte Werke und auch eine Art Ratgeber. Immerhin wurde darin auch bewiesen, dass sich Frauen häufiger als vermutet selber einen abrubbeln und auch häufiger fremdgehen. Weitere Bestseller mit zig Millionenauflage in absteigender Auflagenzahl: „You Can Heal Your Life“, „Die Mäusestrategie für Manager“, „Rich Dad, Poor Dad“, „Die 7 Wege zur Effektivität“, „Wie man Freunde gewinnt“, „Die Dukan Diät“, „The Joy of Sex“, „Die totale Frau“ (Das Handbuch zum Frau-Sein). Man sieht, es ist für jeden etwas dabei.
Überhaupt kaufen Frauen häufiger Bücher, 67 Prozent aller Frauen haben im Jahr 2013 mindestens ein gedrucktes Buch gekauft, aber „nur“ 53 Prozent aller Männer, weiß der Branchenverband Börsenverein. Und wenn Männer mal etwas für sich statt als Geschenk kaufen, dann stehen sie weniger auf Ratgeber, sondern greifen zu SciFi/Fantasy, Humor, Krimis, Thriller und historischen Romanen. Beliebtestes Werk der letzten zehn Jahre von Frau für Frau war die Trilogie „Shades of Gray“ mit 125 Millionen verkauften Büchern. Das erste Buch verkaufte sich sogar schneller als Harry Potter. Dieser hoffnungslose „Mommy-Porn“-Milliardärskitsch trifft offenbar genau in die Psyche von Millionen Käuferinnen. Im Kielwasser dieses Buchs hat sich ein eigenes Sub-Genre gebildet, der Milliardärsalphamann mit den dunklen Stellen in der Vergangenheit beglückt die arme Hascherlfrau bis zur Willenlosigkeit. Zum Schluss wird immer geheiratet. Bei besonders langwierigen Folgeromanen in vielen Bänden trennt man sich, bevor man erneut heiratet. Dieser Dauerplot erinnert an die Antwort auf die Frage, wieso sich Frauen Pornos bis zum Schluss ansehen. Antwort: Weil sie hoffen, dass am Ende geheiratet wird. Die Käufer der Romane: 99% reifere Frauen inklusive denen, die sich dafür halten. Offenbar gibt es ein schweres Dürreproblem in den Fortpflanzungsorganen von Millionen dieser Damen. Den Klimawandel des Alters vertragen sie nicht.
Aber hohe Auflagen einzelner Werke sind nicht alles. Zehnmal fünf Millionen sind immer noch mehr als einmal zehn Millionen. Die Masse macht’s. Rund 20.000 lieferbare Ratgeber zum Thema Diät und Ernährung schlagen fast alle anderen Kategorien an Mächtigkeit. Die Ratgeber richten sich sehr häufig an Frauen. In der Bestsellerliste sind sie immer enthalten, vor kurzem war z.B. „Abnehmen mit Brot und Kuchen: Die Wölkchenbäckerei“ bei Amazon das zweithäufigste gekaufte Buch. Nr. 1 war „Der Ernährungskompass - Mit den 12 wichtigsten Regeln der gesunden Ernährung“.
Frauen und Diäten, das gehört wie Galaxien ins Universum. Man wirft die Schweineschnitzel vor die Perlen und die fetten Folgen zeigen sich alsbald am wachsenden Permanentschwimmring um die Hüften herum. Den Höhepunkt dieses Wahns konnte ich vor dem Kindergarten erleben, wo ich viele Jahre verbrachte. Natürlich nicht, um das nächste Kinderopfer zu suchen, das im Keller geschlachtet wird, sondern um meine eigenen Orgelpfeifen abzuholen, die teuren Früchtchen meiner Lenden. Meistens als einziger Vater unter vielen Müttern. Alle waren sie in dem Alter, in dem der Speck nicht mehr zu verbergen war und sich die Jugendsünden-Tattoos grausig über dem geblähten Wanst verzerrten. Man war aber auch noch nicht so alt, um sich ganz aufzugeben. Also wurden heftig allerlei Diäten angewendet. Die schlanke Phase hielt gewöhnlich nur wenige Monate an, dann wurde man wieder füllig. Ein Pingpong Spiel mit Showroom vor dem Kindergarten. Ich bin sicher, dass das Papiergewicht der Diätbücher und -zeitschriften zu Hause deutlich schwerer war als der verlorene Speck.
Das verfolgt sie bis ans Lebensende. Eine Bekannte mit drei Kindern im Schulalter kam sich immer zu fett vor, als junge Frau war sie durchaus rank und hübsch. Kleines Problemchen: Das Lebensende kam recht bald. Lebenslang dauerhaft abgenommen hat sie nämlich nach einer Krebsdiagnose, das jüngste Kind kam gerade in die Grundschule. Wenige Jahre nach der Chemotherapie und Operation ging es so langsam auf den Abgrund des Nichts zu, in dem wir uns dereinst für alle Ewigkeit spurlos auflösen und vergessen sind. Mit den wachsenden Metastasen magerte sie immer weiter ab, bis schließlich der Partnerlook mit der Sensenfrau erreicht war, die ja auch auffallend schlank ist und dabei nicht mal Osteoporose hat. Da meinte sie nicht ohne Selbstironie, dass es auch wieder Mist ist, wenn man das Wunschgewicht endlich mal erreicht hat und sie das sogar ganz ohne Diät geschafft hat. Und ohne Bücher. Jetzt nutze ihr das auch nichts mehr. Sie sind halt immer unzufrieden, die Frauen. Angebracht wären da wohl eher schon Ratgeber wie „101 Tipps für die Grabpflege“, „Vererben, aber richtig“ oder „Willkommen, lieber Tod“ gewesen. Letzte Woche wurde sie begraben, wenigstens brauchte sie nicht viele Sargträger.
Die Bekannte aus dem ersten Absatz habe ich übrigens mehrere Jahre später wiedergetroffen. Da hatte sie Ehemann, Haus, Beruf und Kinder. Und sie war auf dem Weg zu einem mehrtägigen Selbstfindungskurs. Im kommenden Sommer besuche ich sie zu einem runden Geburtstag und werde ihr ein Buch mitbringen. Vielleicht einen Ratgeber zum Ratgeberkauf.
P.
Weiterführender Link: TrennungsFAQ
Ratsuchende Väter finden im TrennungsFAQ-Forum konkrete Hilfe
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