• 16.11.2024

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Freudentrauben

beeren

» Artikel vom

Autor: p.

Frühling ist es, für viele Gehölze, Stauden und Gemüse ist das Pflanzzeit, jedenfalls für die Leute, die noch ein paar Quadratmeter verwalten dürfen und nicht als geknechtete Unterhaltspflichtige in einem düsteren Einzimmer-Wohnklo hausen oder sich auf der Jagd nach dem Glück immer wieder von Ort zu Ort zappen.

Um diese Jahreszeit bin ich in der Be- und Verwandtschaft berüchtigt für pflanzliche Mitbringsel. Das sind in meinem Fall keine Kakteen im Topf, sondern leicht zu pflegende Nutzpflanzen, Gehölze. Die häufigste Art des Mitbringsels ist: Wein, genauer gesagt Tafeltraubenpflanzen. Es gibt mittlerweile etwa 12 Orte, an denen Tafeltrauben wachsen, die Geschenke von mir waren. Keiner hat sie wieder beseitigt, viele Leute sind sogar sehr auf den Geschmack gekommen, hegen und pflegen sie, wurden Fans und haben noch mehr Sorten gepflanzt. Rechne ich in durchschnittlichen Ernteerträgen, habe ich etwa zwei Tonnen geerntete Beeren verursacht und dieselbe Menge nochmal durch die Ernte auf eigenem Grund produziert. Und zwar vor der Haustür, ganz ohne Klimakleben - nicht über 2000 km per LKW heran gekarrt, gekühlt und in Plastik verpackt. Aber warum überhaupt die Liebe zu Tafeltrauben?

(1) Sie wachsen auf kleinstem Raum und lassen sich optimal an jedes Raumbedürfnis anpassen. Ich habe schon in Mietwohnungen direkt an der Hauswand im Boden gepflanzt, dann die Ranke hochgeführt zum Balkon im 1. Stock. Oder auf 30 cm schmalen Reststreifen zwischen Parkplätzen zweier Grundstücke. An Zäunen und dann am Zaun entlang. Auf Nordseiten im Vollschatten von Gebäuden, dann hoch geleitet in die Sonne. Unter Dachüberständen. Ein Bekannter pflanzte in einen Wintergarten hineinwachsend, durch ein Rohr geleitet, was dann innen tatsächlich zwei Ernten pro Jahr brachte, eine im Dezember, eine im Juni.

(2) Sie sind pflegeleicht, sexuell willig und anspruchslos, vor allem Männer lieben das. Selbstbefruchtung ist Regel, Zickereien und Genöle gibt es nicht. Besonders Krankheitsfeste Sorten brauchen in der Regel keine Mittelchen, um gesunde Früchte zu bringen. Der Schnitt ist einfach und kann nach Gefühl und wenigen simplen Regeln gehen, macht man grobe Fehler, dann wächst sich das trotzdem immer aus. Man kann nicht viel falsch machen.

(3) Jeder mag sie. Die Sorten, die ich mitbringe, orientieren sich an dem, was dem Beschenkten schmeckt. Manche Leute wollen nur kernlose Beeren - kein Problem, gibt es. Einige stehen auf den Saft. Saftsorten sind kein Problem. Blumige Sorten? Kein Problem. Es gibt Aromen nach Walderdbeere, Muskat, zitrusartige Aromen, eine meiner Sorten hat Rosmarinkomponenten, eine Ananas. Die Farben? Grüngelb, gelb, rosa, rot, lila, dunkelblau.

(4) Es ist Obst, das im Vergleich zu Kaufware besonders gut ist, bei dem ein hoher Kontrast besteht zu den Qualitäten, die gewöhnlich im Laden liegen. Und zwar sensorische Qualität und chemische Qualität - kommerziell angebaute Tafeltrauben werden mit einem Pflanzenschutzmittelcocktail geliefert. Man kann mit eigenen guten Trauben auch ein bisschen angeben, man kann Übermengen prima verschenken, man kann aber auch eine Menge Produkte daraus herstellen, wenn man Lust darauf hat. Die Blätter sind verwertbar, unreife Beeren sind verwertbar, kernlose Sorten sind auch für Rosinen geeignet. Auch da sind Qualitäten zu erreichen wie selten zu kaufen. Oder man schätzt es, Produkte ohne unerwünschte Zutaten zu bekommen: https://www.kleinezeitung.at/lebensart/ombudsfrau/6267109/19-Produkte-im-TestGefuellte-und-ungefuellte-WeinblaetterMehr

Natürlich habe ich auch selber Tafeltauben. Es gibt kaum ein dankbareres Obst. Im Moment sind es 16 Stöcke von 15 Sorten. An die zehn weitere Sorten hatte ich schon und die dann gegen andere Sorten ersetzt. Nicht alle davon sind super-krankheitsfest, man macht seine Erfahrungen. Manchmal muss man Kompromisse eingehen, wenn man ganz besondere Eigenschaften oder Aromen haben will, es aber keine superresistente Sorte damit gibt.

Was braucht man?

Die Pflanze. Gekauft zum Beispiel im Versand von einer spezialisierten Rebschule. Auch der Gartenmarkt führt manche Sorten, da sollte man aber genau wissen welche etwas taugen, unter den Sorten ist viel Schrott dabei oder sie laufen unter Fantasienamen mit minderwertigem Inhalt. Bitte keine Stecklinge von Reben machen und bewurzeln, wurzelechte Reben sind reblausanfällig, kommerziell gehandelte Pflanzen sind wie vorgeschrieben immer auf reblausfesten Unterlagen veredelt. Erde wird natürlich gebraucht. Der Bodentyp ist egal, leichte tiefgründige Böden sind etwas besser. Das geeignete Klima herrscht von Dänemark bis etwa 900m Höhe am Alpenrand. Die Pflanzerlaubnis vom Grundherrn braucht man. Ein besonnter Raum, in den die Reben hineinwachsen können muss erreichbar sein. Dachüberstände, Pergola, an Drähten entlang, über Terrassen... alles geht. Die ersten beiden Jahre sollte man Wasser geben können, zwei Eimer pro Woche. Zeit braucht man wenig. Am Anfang wächst die Rebe nur, im zweiten Jahr sind oft schon Blüten da (die Gescheine), die man aber bis auf ein kleines Geschein entfernen sollte, damit der Weinstock nicht die Kraft in Früchte steckt, sondern erst einmal wächst und das Holz reif und damit winterfest wird. Dünger je nach Boden gar nicht bis etwas Stickstoff oder Pferdemist oben um den Stock herum. Die wichtigste und am meisten geschätzte Tätigkeit des Bürgers heute, nämlich ständige Urlaubsreisen zu machen kollidiert mit Tafeltrauben nicht. Das Erntefenster ist lang, im Zweifel ernten dann halt andere. Der Nachbar klaut oder die von überallher einfliegenden Diebesvögel, der Deutsche ist das ja gewohnt.

Was bekommt man?

In erster Linie süsse, aromatische, baumfrische Weintrauben sowie die oben genannten anderen Produkte. Hat man mehrere Reben, kann man unterschiedliche Reifezeiten nutzen und hat dieses Vergnügen von Anfang August bis Ende November. Einige Spätsorten sind gut haltbar, manche Leute hängen geerntete gute Trauben auch an Schnüren im Haus auf und geniessen sie noch, während im Laden schon Ware aus Chile steht.
Nebenprodukt ist auch Schatten, heute ein nicht unwichtiges Gut. Vor meinem Südzimmer wächst eine Weinrebe über dem Fenster. Bis Ende Mai habe ich volle Sonne, dann wird das Laub dicht. Im heissen Sommer beschattet sie das Fenster, sodass das Zimmer sehr hell, aber ohne direkte Sonne bleibt, dies auch ohne Hilfskonstrukte wie Rolläden die insgesamt dunkel machen. Aus dem Zimmer heraus kann man die wie im Schlaraffenland in Reichweite hängenden dicken Trauben bewundern und sich direkt aus dem Fenster heraus an den Früchten bedienen. Das grüne Laub erzeugt eine ruhige, angenehme Lichtstimmung. Im Oktober verfärbt sich das Laub je nach Sorte feuerrot, Laubfall und die Sonne kann ab Herbst wieder (höchst erwünscht) den ganzen Winter über hereinscheinen und wärmen.

Mit welchen Sorten sollte man anfangen?

Muskat Blau - eine alte Schweizer Hybridsorte des Genfer Züchters Garnier, mit unerreicht guter Krankheitsfestigkeit und wirklich erstklassigem Aroma, zeitweilig nach Mandarinen, länger nach Muskat. Nachteile: Schwacher Wuchs, Beeren haben viele unangenehme Kerne und sind etwas klein, Fruchtfleisch weich statt fleischig.
Venus - für Freunde des Erdbeergeschmacks. Sehr würzige blaue Hybridrebe aus den USA mit starker Aromatik. Wenig und weiche Kerne. Äusserst gesund. Grosse Blätter, starker Wuchs, schöne Herbstfärbung. Nachteile: Fruchtfleisch etwas glibberig, das Aroma verändert sich über einen Zeitraum von drei Wochen sehr. Erst stark blumig, dann immer neutraler.
Lakemont - kernlos, süss, Krankheitsfest, einfach im Anbau. Nachteile: Kleine Beeren, Wuchs nicht stark, Aroma nur süss-sauer ohne weitere Obertöne.
Sehr gute Anfängersorten sind auch Jupiter (weitgehend kernlos, von allem etwas, sehr erntesicher auch nach Frost), Galahad (die am frühesten reifende Sorte im Jahr), Druschba (intensives Muskataroma), Garant und Galant (einfach zu führende Sorten, gehören zu den ganz wenigen Züchtungen aus Deutschland), Kischmisch Zimus (früheste Kernlose, gut) und mehr. Insgesamt sind etwa 200 Sorten in Deutschland oder von Versendern nach Deutschland leicht erhältlich. Krankheitsfestigkeit ist immer unter den wichtigsten Auswahlkriterien. Reine europäische vitis vinifera Sorten sind sehr anfällig wegen importierter Krankheiten, dafür finden sich unter dieser Gruppe die Aromakönige, alte Europäerreben wie roter Muskateller oder Muskattrollinger bilden die Qualitätsspitzen. Nur für Profis.

Probleme?

Manchmal Vogelfrass, aber weniger als man bei Tafeltrauben befürchtet. Wespenfrass ist auch meist nicht so tragisch. Angefressen werden zuerst geplatzte oder sowieso faulende Beeren. Die Wespen sind dann sogar ein erwünschter Hygienehelfer. Blaue Sorten leiden unter dem Befall durch die Kirschessigfliege. Echter und falscher Mehltau befallen je nach Wetter und Empfindlichkeit viele Sorten. Gegen alle Übel kann man etwas tun, hilflos bleibt man nicht. Echten Mehltau kann man mit Hausmitteln wie Magermilch oder Backpulver bremsen. Die Kirschessigfliege und Vögel hält man mit Organzasäckchen draussen.

Politisch

Woher kommen die Sorten? Die Züchtungsaktivitäten (nicht nur) für Tafeltrauben in Westeuropa sind fast eingeschlafen. In den USA wird gezüchtet, aber nur für hochkommerziellen Anbau (dies aber sehr erfolgreich, durch Firmen wie Sun World), es gibt aber viele ältere (und gute) amerikanische Sorten, damals waren es noch staatliche Einrichtungen, die züchteten. Mit Abstand die meisten Sorten für nichtkommerziellen Anbau kommen heute aus Osteuropa. Vor allem aus der Ukraine, aber auch Moldawien, Russland. Vor allem in der Ukraine gibt es engagierte Züchterpersönlichkeiten, die viele gute neue Sorten erschaffen haben. Wer sich für Tafeltrauben interessiert, kommt daran nicht vorbei. Aber schon 2014 waren Tafeltraubenfreunde geschockt, als Kriegshandlungen im Osten der Ukraine stattfanden, denn in der Konfliktzone gibt es einige Tafeltraubenzüchter. Bereits 2014 waren prompt tote Züchter zu beklagen. Nun hat sich die Katastrophe potenziert, Rebgärten mit Versuchssorten sind zerstört, verwahrlost, die Besitzerfamilien geflüchtet, einige Züchter müssen jetzt Waffen in die Hand nehmen statt die Rebschere, andere wurden ermordet. Eine Menge Züchter stammen aus Gebieten, die jetzt besetzt sind. Auch die kleine süsse Welt des Hobbyanbaus ist voll erfasst von den grossen Plänen von Potentaten. Ausklinken ist nicht: Auch das kleine private Gärtlein im Hinterhof und sein Gärtner kommen voll ins Schussfeld.

Weiterführender Link: TrennungsFAQ
Ratsuchende Väter finden im TrennungsFAQ-Forum konkrete Hilfe

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