Mehr als Bowling?
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Gastautor: Pancho
Ein ganz gewöhnlicher Sonntag. Damals.
In diesen Zeiten hatte ich ein Faible für Bowling und einen Vertrag bei einem Bowling-Center, der es ermöglichte kostenlos zu spielen, wenn es freie Bahnen gab. Ist lange her. Um genau zu sein ca. vor über 20 Jahren. Sonntags Vormittags war der ideale Zeitpunkt dafür. Im Center war kaum was los und ich konnte nach Lust und Laune stundenlang bowlen, was ich auch ausgiebig getan habe. Sogar auf zwei Bahnen gleichzeitig, um Wettkampf-Situationen zu trainieren. Das Ganze zum Mini-Pauschalpreis. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, dann waren es um die 30,– Euro pro Monat. Darin auch enthalten: Ein Spind, nur leider nicht groß genug, um die komplette Ausrüstung dort unterzubringen.
Ich war damals gar nicht mal so schlecht und habe zwar nie die 300 geschafft, war aber mit 277 dicht dran. 23 Punkte klingt viel, der Unbedarfte wird sagen, dass das rund 10 % Fehlquote sind und meint vielleicht, man hätte 23 Pins nicht getroffen. Dem ist aber ganz und gar nicht so. Kennt man die Zählweise beim Bowling, dann sind das fucking 3 - in Worten DREI – von 120 Pins, die man nicht mit dem ersten Wurf umgeschmissen hat. 277 heißt in diesem Fall: Zehn von 12 möglichen Strikes geschafft, ein 9'er Spare (wenn man mit dem zweiten Wurf abräumt) und mit dem letzten Wurf „nur“ 8 Pins umgeworfen. Könnte heute noch deswegen kotzen. So knapp. Hier das Scoreblatt.
Selbstredend, dass sowas nicht mit den Schuhen und den Bällen geht, die in den Bowling-Centern zur Verfügung gestellt werden. Das ist billigster Schrott mit dem man nur mit Glück und fernab jeglicher Ballkontrolle etwas trifft. Für gesellige Abende mit reichlich Alkohol echt lustig. Mit Bowling hat das nur leider nichts zu tun. Das Dilemma fängt mit den gestellten Bällen an. Die Bohrlöcher sind Pi mal Daumen gebohrt und werden in Größe und Abstand so gebohrt, dass sie möglichst für viele Kunden nach Körpergröße und -gewicht irgendwie passen. Die Regel dahinter ist einfach: große Menschen, dicke Finger, große Löcher, große Bohrabstände, schwere Kungeln. Am anderen Ende der Skala: Kleine Menschen / Kinder: leichte Bälle, kleine Bohrlöcher und Lochabstände. Das Drama setzt sich damit fort, dass die meisten die Bälle nach den Bohrlöchern aussuchen. Kann man sie halbwegs greifen, dann reicht das. Findet man keinen „passenden“ Ball, was bei großem Andrang häufig vorkommt, dann wird der nächste, halbwegs passende Ball, genommen. Manche nehmen bewusst leichtere Bälle, in den sie zwar die Finger kaum hineinbekommen, dafür den Ball aber mit ordentlich Schmackes werfen können, weil sie glauben: „Viel hilft viel“. Knallt es ordentlich im Karton, dann fallen mehr Pins um. Großer Denkfehler. Bowling ist keine Frage von Wucht, sondern von Präzision und der perfekten Kombination aus Wurfweise (Haltung, Griff sowie Richtung und Winkel des Balls zur Bahn beim Werfen), Lauf- und Drehgeschwindigkeit des Balles und Berücksichtigung der jeweiligen Bahneigenschaften. Letztere ändern sich im Lauf des Spiels, sodass ein Automat der alle Wurffaktoren perfekt beim jedem Wurf wiederholt auch keine 300 schaffen kann. Es würde schlichtweg das Feedback der Bahn und die Anpassung darauf fehlen. Am Ende ist es pro Wurf ein ganz kleiner Korridor, in dem man nur wenig Spielraum hat, und den man ständig anpassen muss, um kontinuierlich Strikes zu werfen. Bowling ist, wie so ziemlich jede andere Sportart auch, hauptsächlich eine mentale Sache. Übrigens perfekt, um komplett vom Alltagstrott abzuschalten.
Bälle
Wer schon einmal ambitionierte Spieler im örtlichen Bowling-Center oder Profis im Fernsehen bei Tournieren zugesehen hat (gab’s früher auf EuroSport), dem ist sicher aufgefallen, dass die Bälle einen Bogen entlang der Bahn machen und im letzten Moment, also kurz vor den Pins eine scharfe Kurve (Hook genannt) machen und – je nachdem ob Rechts- oder Linkshänder zwischen dem 1 (der vorderste) und dem 2 (versetzt rechts dahinter) bzw. dem 1 und dem 3 (links hinter dem ersten) Pin treffen, was – wenn es richtig klappt – einen wunderschönen Strike ergibt. Er wird sich vielleicht gefragt haben, wie die das machen. Das Geheimis dahinter heißt: Reaktive Bälle (Strike-Bälle genannt), d.h. sie sind zum Kurven gemacht. Das erreicht man, in dem asymmetrische Kerne (Core genannt) verwendet werden und die Bohrlöcher in einem bestimmten Winkel dazu gebohrt werden. Leider ist es nicht so, dass es damit einfach wird. Im Gegenteil: Das richtige Werfen damit will erstmal gelernt sein und erfordert viel Übung. Die Bälle in den Bowling-Centern haben einen symmetrischen Kern, weswegen damit nur mit viel Tricks nur ein Hauch von Bögen möglich ist, was sinnfrei ist, weil nicht kontrollierbar. Bälle mit symmetrischen Kernen nehmen Ambitionierte und Profis meist für den zweiten Wurf, wenn mit dem ersten kein Strike geschafft wurde, um abzuräumen. Bei den Bällen mit asymmetrischen Kernen entscheidet der Winkel der Bohrlöcher welchen Bogen sie machen. Das erklärt, warum Ambitionierte und Profis immer mit mehreren Bällen antreten.
Für meinen Balllieferanten habe ich seinerzeit eine Kundenverwaltung auf Basis von Excel realisiert. Dieser Screenshot zeigt die Komplexität der Bohrungen und Fingereinsätze eines Bowlingsballs.
Neben dem Winkel ist die passende Bohrung, also Größe und Abstände enorm wichtig. Während die Leihkugeln einfach nur Löcher haben, setzen Ambitionierte und Profis auf Fingereinsätze (Fingertip genannt), die den bestmögichen Griff erst möglich machen. Bei Mittel- und Ringfinger werden nur die Fingerspitzen hineingesteckt. Die Einsätze sind optimal, wenn es fast „Plopp“ macht, wenn die Finger den Ball loslassen. Das erklärt auch, warum Pulver und Stripes zum Einsatz kommen. Feuchte Daumen und Fingerkuppen verhalten sich anders, als Trockene und Finger(kuppen) und Daumen und Finger sind nicht immer gleich dick.
Last, but not least: Das Ballgewicht muss zum Spieler passen. Hierfür gibt es nur ca. Angaben. Das richtige Gewicht muss jeder für sich selbst herausfinden. Ist der Ball zu leicht oder zu schwer, dann leidet die Ballkontrolle sehr darunter.
Schuhe und sonstiges Zubehör
Bowling erfordert spezielle Schuhe mit einer hellen Ledersohle. Natürlich müssen sie gut sitzen (richtige Größe) und sollen bei der Wurfabgabe „richtig“ rutschen, was soviel heißt, wie nicht zu viel und nicht zu wenig. Die Ballabgabe sollte eine fließende Bewegung sein. Hilfsmitteln sind z.B. Bürsten, mit dem man die Sohle temporär etwas aufrauen kann, was bei bestimmten Bahnverhältnissen notwendig ist. Grundsätzlich gilt, je glatter die Sohle, desto mehr rutscht man.
Meist werden auch Handschuhe verwendet, die dabei helfen das Handgelenk in der richtigen Position zu fixieren. Das ist hildfreich, weil im Verlauf des Spiels das Handgelenk ohne Handschuh schnell ermüdet und die kontrollierte Ballabgabe erschwert.
Dazu kommen noch Putzlappen für die Bälle (wichtig), Fingertape, kleine Klebstreifen (Stripes), die man in die Löcher klebt, wenn der Ball zu locker sitzt und Weiteres.
Bahnen
Wer kennt es nicht? Entweder live oder auf Videos gesehen: Jemand läuft beim Werfen in die Bahn rein und fliegt meist auf die Nase, als wäre er auf Glatteis unterwegs. Der Grund hierfür: Bahnen werden geölt. Dafür gibt es sogenannte Ölmuster (auch Ölbilder genannt). Vereinfacht kann man sich das so vorstellen, dass ca. die ersten 2/3 der Bahn geölt sind. Im nicht geölten Bereich am Ende der Bahn greift die Drehung des Balles, was zum o.g. „Hook“ führt, so dass der Ball wie erhofft reindreht und alle Pins umwirftt. In Bowling-Centern werden die Bahnen – wenn es gut läuft – täglich nur einmal geölt, was dazu führt, dass sie nach kurzer Zeit tot sind. Jeder Wurf trägt etwas vom Öl ab (deswegen der/die Putzlappen), was die Sache nicht einfacher macht. Viele ambitionierte Spieler und Profis haben mehrere Strike-Bälle, die sie je nach Ölmuster und Zustand der Bahn einsetzen.
So viel verkürzt zum Basis-Wissen des Bowling-Sports. Wer mehr wissen möchte, wird hier fündig.
Toll, jetzt bin ich mal wieder komplett vom eigentlichen Thema abgewichen, lasse es aber trotzdem so stehen.
Warum?
1) Ob ihr es wollt oder nicht: Ihr habt was über Bowling gelernt und Dazulernen ist immer gut.
2) Geben und Nehmen ist essenziell. Das Excel-basierte Tool – ich hatte echt Spaß es zu erstellen – hat meinem „Bohrer“ (klingt irgendwie schmutzig) so sehr gefallen, dass ich meine Bowlingbälle dauerhaft von ihm zum EK bekommen habe und das individuelle Bohren kostenlos gemacht wurde.
Nun gut, eigentlich sollte es um ein ganz anderes Thema gehen …
Warum hole ich schon wieder so weit aus? Weil es wieder ein Beweis ist, dass sich ständig und überall Chancen ergeben, die meisten sie aber nicht sehen und von denen, die sie sehen, die wenigsten zugreifen.
Zurück zur eigentlichen Story.
Es war einer dieser Sonntage. Es war etwas mehr los, also habe ich nur eine Bahn bekommen. Neben mir ein Typ mit zwei Mädels. „Travieso“ (falls wer eine passende Übersetzung findet, bitte melden; „Frech“ und „Ungezogen“ treffen es nicht wirklich) war ich schon immer, die Mädels waren hübsch, also Angriff und den Typen angesprochen.
Was soll ich sagen? Dieses Ansprechen – und jetzt könnt ihr mich gerne als Beta verurteilen, denn es war tatsächlich nur wegen der Mädels motiviert, hat mir Möglichkeiten eröffnet, die ich mir nicht einmal im Traum hätte vorstellen können.
Der Typ (Name ist unerheblich) und ich sind schnell Freunde geworden. Die Mädels waren längst vergessen. Eines Tages sagte er, er wisse da von einem Freund, der in einer großen Firma arbeitet und sie Unterstützung für ein großes Projekt im IT-Bereich suchen. Irgendwas mit Windows. Ob ich interessiert sei, weil ich ja auch irgendwas mit IT mache. „Klar doch“, sagte ich, ohne zu ahnen, wie das mein Leben verändern würde.
Wenige Tage später hatte ich ein Vorstellungsgespräch bei dem Unternehmen. Konkret bei dem Vertriebler, der das Riesenprojekt an Land gezogen hat. Wir haben uns auf Anhieb verstanden und er gab sein Go. Die Rede war von sechs Monate Unterstützung, um den technischen Projektleiter auf der Lieferantenseite zu entlasten. Zwei Tage später begleitete ich ihn zum Kunden (eine Behörde) zu einem Meeting. Unmittelbar vor der Tür sagte er, er müsse noch etwas erledigen, käme gleich wieder und ich solle schon mal hineingehen. Ich dachte mir nichts dabei und bin rein. Erwartet hat mit eine große Runde, die von uns (dem Lieferanten) konkrete Antworten auf Fragen erwartete, die ich nicht mal kannte. „Alter?!“, dachte ich mir, habe aber Blut geleckt.
Viele wären nach der Aktion vom techn. Projektleiter ausgetickt. Mich hat es an die Zeit erinnert, als ich schwimmen gelernt habe. Mein Vater hat, als ich noch sehr jung war, im Urlaub 5-Pesos Münzen in den Pool geworfen uns sagte zu uns Kinder: „Wer sie holt, darf sie behalten“. Das war für mich Motivation genug.
In kurzer Zeit habe ich mich in das Projekt reingefuchst und es lief alles prima. Dann kam – sorry, falls der Betroffene hier mitliest – die nächste Chance. Der techn. Projektleiter hat sich beim Volleyball die Achillessehne gerissen und fiel wochenlang aus. Ich stand alleine da und musste es alleine wuppen. War nicht einfach, hat aber geklappt und richtig Spaß gemacht. Als der ehemalige techn. Projektleiter nach Wochen zurückkehrte, sagte sein Chef kurzerhand „Läuft doch mit Pancho. Der soll das weitermachen, für Dich haben wir andere Aufgaben“.
Zu gefühlten 70 % wusste ich, was ich tue. Die restlichen 30 % waren auf gut Glück. Frei nach dem Motto: „Wer nicht wagt, gewinnt nicht“.
Kürzen wir es ab: Es ist mehr als gut gegangen. Natürlich gab es hier und da einige Probleme, der Kunde hat mich aber akzeptiert, respektiert und zusammen haben wir das Projekt mehr als gut über die Bühne gebracht. Meine Ansprechpartner damals waren zum einen Mitarbeiter aus operativen Arbeitsebene, als auch dessen Chefs, wenn es um Eskalationen ging. Der Einstieg war geschafft. Auf Augenhöhe. Probleme wurden in ruhiger, friedlicher Runde bei Kaffee und Kekse besprochen und gemeinsam Lösungen erarbeitet. Ja, damals ging das noch so. Egal, was im Vertrag stand: Man war am gemeinsamen Ziel orientiert und jeder hat hier und da ein Auge zugedrückt, wenn es der Sache und dem Projekterfolg dienlich war. „Geben und Nehmen“ oder „Miteinander statt gegeneinander“, wie auch immer es man bezeichnen möchte.
Aus ursprünglich sechs Monaten wurden am Ende mehr als 20 Jahre.
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