Auswandern nach Thailand (3)

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Gastautor: Andyka
Das nächste Wochenende war in greifbarer Nähe. P. druckste herum, dass da ein Event mit ihrem Sportverein anstand, sie da aber nicht unbedingt hin müsse, sonst wäre ich ja alleine, usw. blablabla. Früh am Samstag meinte sie, ich soll einfach mitkommen. Also machten wir uns auf den Weg. An der Nai Han Beach ganz im Süden gibt es einen kleinen künstlich angelegten See nebst Halbinsel, auf der sich eine Art Pavillon befindet für Festivitäten aller Art. Dort saßen schon ein paar junge Frauen und schnippelten große Mengen Obst und Gemüse. Kurz darauf kam ein Pickup voll beladen mit Styroporboxen und Säcken mit Eis. Na klar dachte ich, bei den Temperaturen muss das Zeugs ja irgendwie frisch gehalten werden. 10 Minuten später kam der nächste Pickup mit etwa 200 Paletten Bier. Ok, damit war die Frage geklärt, wozu das viele Eis da ist …
Nach und nach sammelten sich etwa 100 Thais aller Altersklassen auf der Insel, die natürlich neugierig ihren fremden Gast begrüßten. Ich wurde sofort willkommen geheißen, bekam ein Vereinstrikot und wie selbstverständlich sollte ich mitmachen. Es wurden zwei Teams per Losverfahren gebildet und es startete sowas, wie ein Spiel ohne Grenzen. Das Ganze war einfach eine Riesengaudi, es ging überhaupt nicht darum, wer der Bessere ist oder zu gewinnen, sondern einfach die Freude am Spiel. Die Begeisterung der Menschen hat mich tief beeindruckt. Nach 2–3 Stunden ausgelassener und lustiger Spiele gabs dann Essen. Es wurde Fleisch und Fisch gegrillt, Unmengen Salate, Gemüse und Obst kredenzt und die Getränke waren auch auf Betriebstemperatur gekühlt.
Ein älterer Thai so um die 70 drückte mir ein Bier in die Hand und bat mich sich zu ihm zu setzen. Der Typ war wohl der Organisator des Vereins. Er erzählte mir, dass er früher als Elektroingenieur gearbeitet habe und nach der Rente eine neue Beschäftigung mit seinem Verein gefunden hätte. Das Ganze hatte wohl auch einen missionarischen Zweck, er meinte, dass wie überall, wenn die Menschen keine vernünftige Beschäftigung hätten, auch gerne mal zu Blödsinn neigen. Das sei auch in Thailand ein großes Problem. Er war ein netter Kerl und es machte Spaß ihm zuzuhören. Genauso war er aber auch an der Situation in Deutschland interessiert, er konnte es kaum glauben, was unsere Herren Politiker so alles zu Wege bringen. Dass unsere Goldstücke ein voll finanziertes Leben führten und zum Dank dafür sich als Spontanchirurgen betätigen, konnte er nicht nachvollziehen, da würde die Polizei in Thailand andere Saiten aufziehen, falls jemand das probieren sollte.
Es wurde noch ein langes rauschendes Fest, abends kamen wir müde aber sehr glücklich in unserem Zimmer an. Nach einer ausgiebigen gemeinsamen Reinigung folgte ein quasi unerhörtes Röhren, als wenn ich an dem Tag noch nicht sportlich genug aktiv gewesen wäre …
Am Sonntag stand dann mein erster Tempel auf dem Programm. Der Wat Chalong ist eine große Anlage bestehend aus mehreren Gebäuden und einem sehr gepflegtem Garten. Einige der Tempel sind für Besucher zugänglich, auch das Fotografieren ist erlaubt und die beeindruckende Architektur ist auf jeden Fall einen Besuch wert. P. erklärte mir, dass das für Thais ein wichtiges Ritual sei, dort regelmäßig zu beten und den Mönchen auch eine kleine Aufmerksamkeit zu hinterlassen. Durch meine katholischen Wurzeln auf das Schlimmste geprägt und mit tiefster Missachtung gegenüber der christlichen Lehre behaftet, war ich da schon skeptisch. Nun werde ich bestimmt nicht zum Buddhismus konvertieren, was mir aber gefiel, dass die Menschen diesen Ort ohne jeden Zwang oder Regeln betreten, sondern ihren Glauben nach ihrer Fasson leben können. Später sollte mir dann noch die Offenheit und Toleranz der buddhistischen Gelehrten zuteilwerden, dazu mehr in einen der nächsten Kapitel.
Die letzten 10 Tage verliefen sehr harmonisch aber ohne Vorkommnisse, die einer Erwähnung in diesem Bericht würdig wären.
Spät Abends brachte P. mich zum Flughafen und der Abschied fiel natürlich schwer. Sehr schwer sogar. Nachdenklich saß ich im Flieger und blätterte in den zahlreichen Fotos, die ich geknipst hatte. Hätte mir das jemand vor drei Wochen gesagt, wie dieser Urlaub verlaufen sollte und dass das der Start zum Neuanfang sei, ich hätte es nicht geglaubt.
Natürlich wartete jede Menge Arbeit auf mich daheim, die mich zunächst ablenken sollte. Aber dafür wurde mir viel klarer, in welchem Zustand unser Land ist. Angefangen am Flughafen in FFM. Eine einzige Baustelle die nach 100 Jahren nicht fertig wird, totales Chaos und desolate Organisation. Die Öffis voll mit Talahons, die in edlem Zwirn gekleidet das neueste iPhone bedienten. Hmmm, ob die das mit normaler Arbeit erwirtschaftet haben? Und dann die Griesgrämigkeit vieler Zeitgenossen. Irgendwie erkannte ich meine Heimat kaum wieder.
Aber viel schlimmer: Zuhause packte mich das Fernweh. Was tut der freie Mann da? Richtig! Er bucht sich einen neuen Flug. Und so saß ich acht Wochen später wieder im Flieger gen Osten.
Die Wiedersehensfreude war natürlich riesig und wurde mit einem exzessivem Geröhre besiegelt.
Diesmal sollte es aber anders ablaufen: Anstelle von Hotel entschlossen wir uns auf Selbstversorger umzustellen, sprich ein kleines Condo wurde gemietet und es stand ein Besuch bei den Eltern an. P. hatte auf 7-Tage-Woche umgestellt, d. h. Arbeiten von Montag bis Sonntag, dadurch hatte sie nochmal einige Tage frei.
Doch zunächst kam der große und nicht einfache Schritt des eigenen Bankkontos. Ich habe ungern größere Geldbeträge bei mir, weder in der Geldbörse noch im Tresor. Außerdem ist in Thailand das Bezahlen per App wesentlich weiter als in Europa, also musste ein Konto her. Wenn man es weiß, ist es nicht allzu schwer. Man braucht hierzu ein Visum. Zumindest war es in meinem Fall so, evtl. gibt es auch andere Möglichkeiten. Als Visum eignet sich z. B. das 90 Tage Visum, welches man im Büro der Immigration erhält. Dazu ist neben Kopien vom Ausweis und einem Passfoto ein Wohnsitznachweis erforderlich. Dieser kann vom Vermieter ausgestellt werden. Das ist aber absolut keine Selbstverständlichkeit, wenn der Vermieter nicht will, hat man ein Problem. In meinem Fall ging es nach zwei Anläufen aber glatt und nach einer Stunde bei der Bank und 30 Euro ärmer, war ich im Besitz eines Kontos nebst Karte. Ohne fachkundige Begleitung wäre das zum Drama geworden.
Am nächsten Wochenende ging es dann mit dem Flieger nach Chiang Rai, das ist im Nordwesten von Thailand. Die Eltern holten uns ab. Nach einer sehr herzlichen Begrüßung ging es auf dem Weg heim noch in einen Supermarkt, um Vorräte einzukaufen. Der Laden erinnerte mich an die heimische Metro, einerseits eine riesige Frischabteilung, wo es Obst, Gemüse, Fisch, Seegetier und Fleisch in Hülle und Fülle gab, zum Anderen unendliche Hochregalreihen für den sonstigen Bedarf des Lebens. Erstaunlich war der Preis: Der Einkaufswagen war kurz vorm Achsenbruch, insgesamt waren es ca. 100 Euro umgerechnet.
Danach ging es eine Stunde mitten in die Pampa, bis wir schließlich in einem kleinen Dorf landeten. Das Elternhaus würde bei uns als bessere Scheune durchgehen. Eine große überdachte Terrasse, die auch als Küche diente, ein großer Wohnraum, halb offen zur Straße und ein WC. Immerhin fließend Wasser. Im Dachgeschoss gab es dann einen kleine abgetrennten Raum, in dem wir nächtigen sollten. Der Haken an der Sache war die Deckenhöhe von 180 cm, für große Kerle wie mich ein Stein äh Holz des Anstoßens.
Ihr jüngster Sohn hatte gerade Schulferien und war bei den Großeltern. Während die Frauen das Essen zubereiteten, spielten wir erstmal eine Runde Schach.
Das Abendessen kam: Wir saßen an einem Campingtisch auf abgesägten Baumstämmen. Also der Komfort war recht überschaubar, dafür das Essen der Hammer. Jeder Sternekoch hätte freiwillig kapituliert. Ich kann mich nicht erinnern jemals so gut, abwechslungsreich und reichhaltig gegessen zu haben. Und ich hatte das Gefühl wirklich herzlich willkommen zu sein. Die Eltern sprachen natürlich nur Thai, aber mit englischer Übersetzung kein großes Problem.
Eigentlich ist in Thailand Hausarbeit ja Frauensache, ich ließ es mir aber nicht nehmen mir den Junior zu schnappen und den Abwasch zu machen (Natürlich in einem Spülstein mit Gartenschlauch). Es gab kurzen aber erfolglosen Protest seitens der Damen, aber man fügte sich in sein Schicksal. Die Oma saß mit breitem Grinsen in ihrem Sessel und schaute uns zu. Offensichtlich war es gar nicht sooo schlimm mal die ein oder andere Tradition über Bord zu werfen.
Nach einer etwas abenteuerlichen Dusche ging es dann ins Bett. Selbiges bestand aus einem 2×2 m großen Holzbrett mit einer dünnen Decke darüber. Das ganze abgeschottet mit einem Baldachin gegen Mücken. Mich hatte das ein bisschen gewundert, dass die Eltern dies zuließen, hatte ich doch im Internet gelesen, dass da in Thailand strenge Sitten herrschen, was vorehelichen Sex anbetrifft. Alles Blödsinn, während die Eltern wenige Meter weiter abgetrennt durch eine dünne Holzwand schliefen, vögelte sich ihre Tochter die Seele aus dem Leib, wohlbedacht, dass keiner etwas hört …
Ich lag noch eine Weile wach, während sie selig in meinen Armen schlief. Ich schaute in den klaren Sternenhimmel. Jetzt war ich 11.000 km von daheim entfernt, wirklich am Arsch der Welt mit null Komfort. Auf einmal war die Sicht der Dinge eine Andere. Ich fühlte mich sauwohl und bekam immer größeren Respekt vor den Menschen hier. Obwohl sie nicht viel hatten, lebten sie vermutlich weitaus glücklicher als unsereins.
Am nächsten Morgen wurde ich mit einem Kaffee am Bett geweckt. Also klarer Pluspunkt für die Herberge. Nach dem Frühstück musste ihr Vater mir unbedingt seine Plantage zeigen. Es ging mit dem Pickup los und dann weiter zu Fuß. Nicht ohne Stolz präsentierte er mir etwa ein Fußballfeld voller Teakholzbäume, die er vor vielen Jahren selbst angepflanzt hatte. In zehn Jahren würden die gerodet und dann neu ausgesetzt werden. Das brächte ordentlich Kohle. Dann gab es neben reichlich Gemüse und Kräutern auch noch zwei Reisfelder, die mit einem Brunnen versorgt wurden, der mit einer kleinen Solaranlage betrieben wurde. Natürlich alles selbst zusammen gebaut. Auch einige Bäume mit Bananen und Mangos gab es, selbstverständlich die Besten in ganz Thailand. Wenn ich die nicht probiere, hätte ich im Leben etwas verpasst …
Auf dem Rückweg passierte das, was passieren musste, die Karre saß im Dreck fest. Nach einigen Startversuchen war es dann so weit, dass der Pickup bis zur Stoßstange im Schlamm steckte. Keine Chance da alleine herauszukommen.
Was braucht der Thai da? Ganz einfach: einen Felsbrocken, einen Baumstamm und noch mehr Thais. Letztere wurden vom Nachbarfeld organisiert, ein großer Stein herangerollt und mittels eines abgeknickten Baumes die Hebelgesetze auf ihre Richtigkeit kontrolliert. Auf der einen Seite die Karre, daneben der Stein, Baum darüber und am anderen Ende ein paar Thais und die Karre hoch gehebelt. Löcher mit Dreck und Steinen zu geschüttet, Zündung, Auto wieder frei. Alles kein Drama.
Natürlich war man neugierig, wer denn der große Blonde sei und was der hier mache. Außerdem müsse ich auf jeden Fall auch die anderen Reisfelder anschauen. Dort lief gerade die Ernte. Ob ich auch mal versuchen wollte? Schwups hatte ich zwei hüfthohe Stiefel an, die mir drei Nummern zu klein waren und bekam einen Strohhut. Dann ab in den Schlamm. Ich half eine Stunde in gebückter Haltung unter praller Sonne mit. Seitdem esse ich Reis mit etwas mehr Respekt.
Als wir nach Hause kamen, traf die Mutter fast der Schlag, wir inklusive Karre waren völlig verdreckt, aber pragmatisch, wie Thais eben sind, Gartenschlauch und Bürste raus und wieder alles saubergemacht. Es war ein ebenso prägendes wie lustiges Erlebnis.
Fortsetzung folgt …
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