• 15.03.2024

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Der ewige Krieger II

sniper

» Artikel vom

Gastautor: The Real Freeman

Episode II

ERSTE ZEICHEN

Wir kamen lebend heraus. Alle. Mein ursprüngliches Vorhaben, heldenhaft die Exfiltration meiner drei Kollegen bis zum bitteren Ende zu sichern, wurde jäh unterbrochen. Nach einer gefühlten Ewigkeit im Staub und Getöse griff mich eine Pranke wie ein Schraubstock am Oberarm und ich vernahm eine energische, vertraute Stimme. "Los, Blödmann, wir müssen hier raus!". Also löste ich mich und ging.

Der Rückflug zum Stützpunkt verlief ruhig, wie gewöhnlich. Wir saßen im Transportraum des Hubschraubers und schwiegen. Die Stimmung war angespannt. "Was ist eigentlich los mit dir?", platze es dann ansatzlos aus Charly heraus. "Wolltest du da unten übernachten?"

Karl M., genannt Charly, war mein stellvertretender Spähtruppführer, 29 Jahre alt und ziemlich genau das, was man ohne Umschweife als "Tier" bezeichnen würde. Während der Rest der Truppe eher sportlich-drahtig daherkam, war Charly gefühlt zweieinhalb Meter groß, einen Meter breit und mit der Statur eines leicht übergewichtigen Schwergewichtsboxers gesegnet. Einer, der mit allen gut auskam – vor allem aufgrund der Tatsache, dass niemand ernsthaft Lust hatte, ihn zu reizen. Er hatte wache Augen, einen bösen Humor und eine unfassbare Anziehungskraft auf Frauen.

Charly kam, wie er bereitwillig erzählte, aus „schwierigen sozialen Verhältnissen“. Vater Säufer und früh gestorben, Mutter ebenfalls Säuferin, mittlerweile wohl in der geschlossenen Psychiatrie. Er erzählte mir einmal, er sei zur Bundeswehr "geflüchtet", nachdem er als Achtzehnjähriger eine Sechzehnjährige geschwängert habe und deren Familie beschlossen hätte, „ihn fertigzumachen“. Sein Kind habe er bis heute nie gesehen. Die absurden Unterhaltsforderungen, für ihn als frisch ausgelernter Schreiner nicht zu bewältigen, die ständigen Drohschreiben von Amt und Anwälten sowie die Aussicht auf ein Restleben auf Sozialhilfeniveau bewogen ihn dann dazu, sein Glück bei der Bundeswehr zu versuchen.

Und so fand Charly bei den Fernspähern seine „Familie“. Er diente sich bis zum Stabsunteroffizier hoch, lehnte dann aber weitere Beförderungen und Versetzungen ab („bringt nix, wird eh nur gepfändet“). Der kleine, vertraute Rahmen eines hochspezialisierten Vier-Mann-Spähtrupps war genau sein Ding, mehr wollte er nicht. Er hatte seine Ruhe vor der Welt draußen, wohnte für ein paar Mark in der Kaserne und sein geschützter „Restsold“ reichte ihm. Daneben absolvierte er alle verfügbaren Speziallehrgänge mit Bravour und erwies sich als exzellenter Scharfschütze und Freifallspringer. Nach nunmehr zehn Jahren galt er als Urgestein der Truppe, dem auch höhere Dienstgrade erheblichen Respekt zollten.

Jetzt saß das Urgestein da, den Kopf auf seine absurd großen Bratpfannenhände gestützt, und sah mich aufgebracht an. „Du weißt doch genau, wie das läuft. Wir gehen alle zusammen in den Heli“, zischte er. „Und wenn du sicherst, dann nur kurz in Sichtweite, und dann kommst du sofort nach“, ergänzte er. „Ich habe dich nicht mehr gesehen und musste extra noch mal raus, um dich zu holen. Und du hockst da ewig rum, als ob du regelrecht auf den Feind warten würdest. Was sollte die Scheiße?“ Ich schaute ihn an und schwieg einen Moment. „Ich weiß es nicht“, sagte ich leise. Doch im Unterbewusstsein, noch ohne Kontur und Klarheit, formte sich der Gedanke, dass ich soeben nicht die Wahrheit gesagt hatte.

19 STUNDEN VORHER - 03:00 UHR NACHTS

Es gab Listen mit Personen. Die Regierungen der Kriegsgewinner waren sich einig, dass auch nach Kriegsende besonders verbrecherische Gestalten in Den Haag vor den Internationalen Gerichtshof gestellt werden sollten. Zu diesem Zweck sollten militärische Spezialkräfte diese Zielpersonen in ihrem Unterschlüpfen, ganz gleich wo auf der Welt, aufspüren und festnehmen. Eine inoffizielle Variante lautete, dass das Problem auch „anders“ gelöst werden könne, falls eine Festnahme nicht möglich sei.

„Lautlos rein, lautlos wieder raus - und kein Beweis, dass wir jemals da waren.“ Soweit die Theorie. In der Praxis hatten wir zumindest den ersten Teil erfüllt. Der Anmarsch in der Nacht zuvor verlief problemlos, man hatte uns acht Kilometer vom Ziel entfernt abgesetzt, die wir vorsichtig zurücklegten. Ein hohes Entdeckungsrisiko ging von örtlichen Hirten mit ihren Schafen, Ziegen und Hunden aus, die tagsüber weite Strecken zurücklegten und auf die man auch nachts beim Lagern überraschend auftreffen konnte. Klingt lachhaft, ist es aber nicht. Der Auftrag wäre in einem solchen Fall sofort abzubrechen. Wir wissen nicht, wem Ziegenhirten so alles erzählen, dass sie vier schwerbewaffnete Typen mit Nachtsichtgeräten im Wald getroffen haben. Nun ist das dezente Verschwindenlassen von Personen für Fernspäher zwar nicht ungewohnt, im Falle argloser Viehhirten aber kein Einsatzgrundsatz. Ich weiß, dass Spezialeinheiten anderer Nationen das durchaus anders sehen und handhaben.

Das Gebäude samt Zielperson lag auf nahezu freiem Gelände in einer kleinen Senke. Von oben am Berg hatten wir aus etwa 800 Metern gute Sicht auf das Objekt, waren aber zu weit entfernt für eine zuverlässige, scharfschützengestützte Überwachung der geplanten Zugriffsoperation bei Nacht. Selbige sollte in diesem Fall von den britischen Kollegen des SAS erledigt werden, die per Hubschrauber auf Standby waren und auf unsere detaillierten Feindinformationen warteten. Also klärten wir zunächst aus der Entfernung mit dem Nachtsichtteleskop auf, meldeten Personen, Bewaffnung, Kampfkraft, Fahrzeuge, Gebäudeaufbau, Zufahrten und Sichtverhältnisse vor Ort.

Zwei Männer spielten Karten am Küchentisch im Erdgeschoss, vier Zastava M95 lehnten an einer Wand. Wahrscheinlich zwei weitere schlafende Wachen als Wechselschicht im Nebenraum, aus Zeitgründen jetzt nicht feststellbar, aber einzukalkulieren. Zielperson im 1. Stock, vermutlich schlafend. Alles relativ unspektakulär und überschaubar. Sollte klappen.

Eines war jedoch klar: Wir würden näher ranmüssen, um das Zugriffsteam wirksam zu decken. Wahrscheinlich sehr nah, denn je weiter wir vom Hügel hinabsteigen würden, desto mehr verschwand das Gebäude uneinsehbar in der Senke. Der Abstieg am Vorderhang war taktisch riskant, aber unvermeidbar. Bei Entdeckung saß man praktisch auf dem Präsentierteller. Ähnliche Szenarien in vergleichbarem Gelände hatten wir auf Korsika mit dem 2-REP der Fremdenlegion schon trainiert. Kann ungemütlich werden, ist aber lösbar. Hoffentlich hatten wir nichts übersehen. Noch saßen wir im Versteck und machten Witze darüber, dass Charly als Sniper das Problem an dieser Stelle eigentlich sofort lösen könnte, wir uns so diesen umständlichen Festnahmekram einfach ersparen und gemütlich zurückfliegen könnten. Das SAS-Taxi würde doch sowieso auf Anruf vorbeikommen und könnte gleich Pizza mitbringen.

Keiner von uns ahnte, welche Hölle wir in dieser Nacht heraufbeschwören würden. Und welche Rolle das auf meinem Weg zum Freien Mann spielen sollte.

(Wird irgendwann fortgesetzt)

Anmerkungen des Autors

Wer sich näher mit der Thematik befassen möchte, dem empfehle ich die Videos von Thomas Gast. Guter Mann, guter Humor, ich konnte ihn Ende der 90er noch persönlich bei einem Austausch mit den Fallschirmjägern der Fremdenlegion kennenlernen, als er noch kein „Youtube-Star“ war.

Einige Forenuser haben meine „romanhafte“ Schreibweise beklagt. Ich sehe es nicht als Nachteil, mich oberhalb des Niveaus eines Abituraufsatzes artikulieren zu können - und ich schreibe gerne. Stil und Form sind sicher Geschmackssache, das Thema als Nische ohnehin. Ich freue mich über Kritiken und lerne.

Im Übrigen bin ich kein Einzelfall: Ein Ex-Kollege meiner Truppe hat als Oberstleutnant bereits drei autobiographische Militärromane unter dem Pseudonym "Eric Hagen" veröffentlicht. Leicht zu googeln, Empfehlung. Die geschilderten Ereignisse sind über 20 Jahre her. Ich habe mir die Freiheit genommen, die Ereignisse mehrerer Einsätze zu einer einzigen Erzählung zu verdichten und Zeit, Personen und Orte zu verfremden. Ob mir der Kompromiss gelingt zwischen einem „militärischen“ Jargon und einer "zivilen“ Ausdrucksweise, die jeweils immer irgendjemanden unbefriedigt zurücklassen, müssen die Leser entscheiden.

Für mich ist das Ganze vor allem eine Form der persönlichen Aufarbeitung von Erlebnissen, Gedanken und offenen Fragen, die mich auch heute noch beschäftigen. Nicht in Form eines Traumas (Gott sei Dank nicht!), aber im Sinne von prägenden Grenzerfahrungen aus der Innenwelt einer kleinen, verschworenen Männersekte, von deren Existenz und Kultur der Durchschnittsbürger kaum etwas weiß – und von der auch Politiker "nichts wissen möchten“, sobald es unbequem wird.

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