Gastautor: Simon Darre

Und wieder war Zeit im Königreich vergangen … Auf den Winter folgte der Frühling und auf den Frühling der Sommer … Wie es schon immer gewesen war und wohl auch weiter sein wird.

Das Mämazi fristete weiterhin sein Schattendasein im Königreich (was tatsächlich auch das Beste war – denn die Schwarz- und Rotmagier, welche aktuell die Herrschaft im Reich ausübten, waren eifrig darauf bedacht, ihre Feinde, echte und vor allem eingebildete, zu verfolgen und mundtot zu machen). Die Grünmagier, die sie dabei gerne weiter unterstützt hätten, waren selbst nach den arg verschobenen Kriterien des Königreiches zu irre für die Regierung geworden und sie hatten daher an Macht und Einfluss verloren. Doch war das, was nun Schwarz- und Rotmagier taten, nicht weniger irre. Einzig die Blaumagier versuchten sich der Dummheit und Ignoranz entgegenzustellen, doch hatten sie dabei einen schweren Stand.

Im Zauberweiher des Mämazi aber (für Unwissende verweisen wir zur Begrifflichkeit auf den ersten Artikel dazu, s. hier) fand weiter ein Austausch unter (scheinbar) freien Geistern statt …. Wie es schon immer gewesen war und hoffentlich auch weiter sein wird.
Doch war auch das Mämazi keine Insel der Seligen – das schleichende Gift der Zersetzung aller Moral, der Umwertung aller Werte und der Verdrehung aller Tatsachen hatte leider auch im Mämazi um sich gegriffen … Wie schon erwähnt waren die üblen Folgen davon überall im Königreich sicht- und spürbar:
Die Menschen waren noch gröber, gereizter, hysterischer, paranoider, verlogener, ignoranter, kränker und irrsinniger geworden. Wie im Großen, so im Kleinen – das Mämazi als Zerr-Spiegel der Gesellschaft war davon nicht freigeblieben.
Auch im Mämazi war der Ton weiter rauer geworden – wurden Frauen oft als dumme und lächerliche Geschöpfe dargestellt, machten mehr und mehr Geschichten die Runde, in denen sich über andere lustig gemacht wurde und vor allem war es immer weniger Teilnehmern im Mämazi möglich, einen anderen Standpunkt, als den eigenen, einnehmen zu können. Ja, die Blindheit, was die eigene Weltsicht anging, nahm zu und ließ selbst Prinz Pablo nicht verschont. So kritisierte er eines Tages zu Recht Äußerungen eines Floristen zu Flatinos, den Einwohnern eines fernen Kontinents, als herabwürdigend. Doch fiel ihm nicht auf, dass seine eigenen Äußerungen über seine Landsleute ebenfalls herabwürdigend waren … So nahmen die Blindheit und mit ihr das Unverständnis für eine andere Weltsicht immer weiter zu.
Hier und da schimmerte noch etwas vom alten Glanz des Mämazi durch – wenn der Tod, der doch zu allen kommt, einen Geist des Mämazi mit sich nahm, dann ging wohl ein Erschauern durch die Reihen der vermeintlich freien Geister …. Fragte sich mancher wohl doch für einen Moment, ob der Fokus tatsächlich nur auf Geld, Essen, Sex und Gemütlichkeit liegen sollte …

Doch muss auch bemerkt werden, dass nach wie vor im Mämazi Dinge geteilt und diskutiert werden konnten, welche im Königreich längst als tabu galten. So zum Beispiel, dass immer mehr Fremde ins Land hinein gelassen wurden, die das Leben für alle immer unangenehmer machten – oder wie auch einmal wieder, für den Krieg getrommelt wurde mit einem anderen Reich im Osten, welches schon einmal vor langer Zeit das Königreich besiegt hatte – doch trotz der eindeutigen Niederlage von damals machte auf einmal das Wort die Runde, man müsse kriegstüchtig werden, man müsse sich rüsten für den Krieg mit dem bösen Feind im Osten (und aus der tiefsten Hölle erscholl bisweilen nachts ein furchtbares Lachen und die Leute, die es hörten, erschauerten und sprachen vom Fluch des Schicklgruber, der im letzten Kreis der Hölle schmore … Und manch ein Florist war nicht frei von dieser Beeinflussung und sah im Osten statt eines klugen Herrschers einen blutbefleckten Tyrannen).

Prinz Pablo sah diese und viele andere Entwicklungen mit Sorge. Ihm selber ging es gut – er war gesund und immer noch voller Energie, er hatte sein kleines Stadtschloss verkauft (zu einem guten Preis), er war bereit für weitere Abenteuer mit Prinzessinnen, welche nur zu gerne ihm das Leben auf vielerlei Art versüßen wollten.
Kurz, das Leben meinte es nach wie vor gut mit ihm und er war im Allgemeinen gut zu anderen. Wohl hätte er u.U. auch gerne eine Prinzessin geheiratet, um mit ihr süße kleine Prinzessinnen zu zeugen, doch sah und hörte er genügend Geschichten, wie sich aus kleinen Elfengleichen Wesen ausgewachsene Drachen entwickeln konnten und so war er denn nur selten wirklich traurig über das, was ihm fehlte. Er war sich zudem sicher, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, eines Tages das Königreich zu verlassen.
Und wer wollte es ihm verdenken? Stimmen der Vernunft waren im Königreich kaum noch zu hören, stattdessen wurden Hass und Hetze täglich und stündlich durch die LBP (Lügen-und-Betrügen-Presse) ausgebreitet und die Dummheit feierte fröhliche Urständ.
Sprachen doch einmal Einwohner des Königreichs die Tatsache an, dass der Zuwachs an Fremden zu immer mehr Problemen führen musste, da diese nicht nur ganz andere Werte und Gesinnungen hatten, sondern in großer Zahl dem Steuerzahler auf der Tasche lagen, so wurden diese als Nestbeschmutzer und schlimmeres beschimpft.
Gewalttaten der Fremden, welche mittlerweile jede Woche das Königreich erschütterten, waren bedauerliche Einzelfälle, die nichts miteinander zu tun hatten. Wurden Frauen in Freibädern belästigt (worunter sich vor allem die Fremden hervortaten), so waren alle Männer schuldig. Ebenso waren alle Männer daran schuld, dass Frauen des Nachts nicht mehr durch bestimmte Straßen laufen wollten, dass man sich zu manchen Gelegenheiten nicht mehr sicher fühlte, dass kaum jemand noch höflich und hilfsbereit war usw.
Ja, das Maß der Verlogenheit im Königreich war so groß geworden, dass die Schwarzmagier mit allen möglichen Lügen davonkommen konnten. Bevor sie an die Macht gekommen waren, hatten sie versprochen, die Zahl der Fremden zu begrenzen – nach der Machtübernahme war davon kaum noch die Rede. Vor der Machtergreifung wollten sie keinesfalls neue Schulden machen – nach der Machtergreifung machten sie so viele Schulden wie noch nie jemand zuvor gemacht hatte.
Wer sich gegen diesen Unsinn äußerte, wurde wie gesagt als echtextrem oder sogar schlechtextrem bezeichnet und es konnte geschehen, dass dessen Haus des morgens von der Polizei aufgesucht wurde. Datenschnüffelei, Denunziation, die Herabwürdigung und das Ignorieren von anderslautenden Ansichten und vor allem ein zunehmend hysterisch-schriller Tonfall machten sich überall breit.

Hitze wurde auf einmal lebensbedrohlich, Kritik war staatszersetzend, Vernunft radikal und alles, was sich auf Logik berief, war wie gesagt echtextrem, schlechtextrem, rechtsextrem und (sofern es die Belästigung von Frauen anging) gemächtextrem.

Warum also sollte sich Prinz Pablo dies weiter antun? Er sah die Zeichen an der Wand (und nicht nur dort) – er war vermögend, hatte keine Furcht, zu neuen Ufern aufzubrechen – warum also nicht das sinkende oder doch zumindest schwer schlingernde Schiff verlassen?

Doch eines Nachts hatte er einen Traum und dieser Traum ging folgendermaßen:
Er stand auf einem hohen Berggipfel und sah weit unter sich ein Land in Dunkelheit. Dann zogen im Traum auf einmal alle Personen, denen er jemals Gutes getan hatte und auch diejenigen, die ihm Gutes getan hatten, an ihm vorbei.
Es war eine lange Reihe von Menschen …. Frauen, viele Frauen … Freunde…… Eltern … Sie zogen vor seinem Auge vorbei und lächelten ihn dabei gütig und liebevoll an. Ganz am Ende zog eine Frau an ihm vorbei, welche in jungen Jahren bei einem Unfall gestorben war und deren Tod ihn damals sehr berührt und nachdenklich gestimmt hatte. Diese Frau lächelte ihn strahlend an und breitete ihre Arme weit aus und im Traum kamen ihm dabei die Tränen.
Dann sah er noch einmal das Land unter sich liegen und erkannte, dass es das Königreich war. Doch die Dunkelheit wurde nun von goldenem und silbernem Licht durchschnitten – hier und da waren auch Inseln von Licht zu sehen. Er sah auch, dass die Lichtschnüre ihn mit allen Menschen verbanden, die eben noch an ihm vorbeigezogen waren – von den Orten, wo sie wohnten, verbanden sie sich mit ihm und anderen und woben so ein Netz von Licht über das Land.
Er sah, wie dieses Licht sich ausbreitete und mehr und mehr Menschen zu sehen waren, die Licht in sich trugen und Licht weitergaben. Manche gaben nur einen kleinen silbernen Streifen weiter, andere strahlten goldenen Glanz aus – sodass jeder Winkel des Landes mit Licht verbunden war, im Licht leuchtete. Er wusste im Traum, dass dies alle guten Taten und Gedanken, alle Akte der Vergebung, der Liebe, der Freundlichkeit, des Mutes etc. darstellten und dass es auch dies war, weswegen das Königreich früher das Herzland genannt worden war. Denn es war das Herz dieses Kontinents – geografisch wie auch geistig.
Er sah nicht wenige Lichtgeber aus dem Mämazi – er sah den Mut des Bahnbediensteten, der gegenüber den Fremden Recht und Ordnung durchzusetzen versuchte … er sah die Liebe in der Pflege der todkranken Eltern, die Freundlichkeit gegenüber Anderen, den Versuch, die eigenen Kinder vor dem Lügenbrei der zunehmend irrsinnigen Schule und Gesellschaft zu behüten oder zumindest kritisch zustimmen … All dies und noch mehr konnte er sehen, die Bereitschaft, den Mut, die Liebe, die Wahrhaftigkeit und die Macht der Vergebung.
Während ihn dieser Anblick froh und ruhig stimmte, sah er auf einmal, wie das Bild sich zu ändern begann. Das Licht schien hier und da schwächer zu werden, die Dunkelheit stärker vorzudringen. Ja, tatsächlich wurden manche Lichtstränge von schwärender Dunkelheit überwuchert, wurde der Lichtschein an manchen Orten schwächer.
Im Traum wusste Prinz Pablo, dass dies alle Akte und Gedanken des Hasses, der Lieblosigkeit, der Lüge, von Angst, Scham, Schuld, Hysterie, Verlangen, Paranoia, Rechthaberei, Arroganz und Irrsinn präsentierte. Auch dies hatte sich wie erwähnt im Mämazi ausgebreitet, so wie ein Krebs erst langsam und dann schneller in einem kränker werdenden Körper wuchert.
Er sah die Verletztheit und den gekränkten Stolz sich in herabwürdigenden Bezeichnungen von Frauen äußern … Sah den Hass gegenüber bestimmten Gestalten auf der Weltbühne … Sah Eitelkeit, Ich-Bezogenheit und die Scheu, sich selber im Spiegel zu betrachten. Manche waren so sehr mit schweren Gedanken und Gefühlen durchtränkt, dass sie nichts Tiefgehendes mehr fühlen konnten, weder Liebe noch die Leichtigkeit des Lebens – nichts berührte sie mehr wirklich, sodass sie wie Ritter in eisernen Rüstungen waren – unangreifbar und unberührbar – eingefroren in derb-dumpfe Gleichgültigkeit und Besserwisserei.

Freilich breiteten sich die schwarzen Geisteshaltungen und die daraus folgenden Handlungen im Königreich noch viel stärker aus. Ja, ihm war bewusst, dass das Land in schweren Qualen da lag – seinen Vergewaltigern zunehmend schutzlos preisgegeben, die sich gerne als Retter präsentierten und dabei doch des Landes Totengräber waren. Ja, die Buntmagier hatten es sogar durch schwarze Magie geschafft, dass sich aller Zorn und alle Wut gegen die Wenigen richteten, welche die Probleme offen ansprachen. So wussten die meisten Leute nicht, was sie tun, denn sie waren blind geworden.

Prinz Pablo spürte das Leid des Landes größer und größer werden – alles, was einmal gut und erhaltenswert gewesen war, alles, was leuchtete und licht und rein war, war zunehmend von Dunkelheit umwoben. Ja, die Dunkelheit würde wohl eines Tages das Licht komplett ersticken, wenn sich nicht gute Menschen dem entgegenstellen würden.
Das war Prinz Pablo im Traum ganz klar – doch spürte er inneren Widerstand dagegen. Warum sollte er unter den Rettern des Königreiches sein? Hatte er sich doch seit der sogenannten Kronenkrankheit an der Dummheit und Verlogenheit, dem Denunziantentum und Kadavergehorsam seiner Landsleute gestört – an ihrer Bigotterie und Ignoranz, der Überheblichkeit und dem Dünkel.

Nein, er wollte dieses Land verlassen – nichts verband ihn mehr mit diesem Dunkelkönigreich! Doch auch nicht mit dem goldenen Licht? Was sollte er tun? In diesem Moment des inneren Haders erschien ihm nochmals die junge Frau, die dereinst eine besondere Freundin für ihn gewesen war.
Sie blickte ihn liebevoll und mitfühlend an und sprach: Pablo, wie auch immer Deine Entscheidung ausfällt, die Hauptsache ist, dass Du Dir treu bleibst. Also bleib Dir treu, Lieber! Wir sehen uns am Ende des Weges wieder! Damit öffnete sie erneut ihre Arme und diesmal umarmte sie ihn.

Der Prinz erwachte. Er wusste nicht mehr, was er geträumt hatte, doch sein Kissen war feucht von Tränen und er fühlte sich seltsam getröstet. Draußen war ein verregneter Tag, die Wolken hingen tief. Ein Freund hatte eine Nachricht hinterlassen, ob er Lust auf Fisch habe und sie sich am Abend treffen könnten? Der Prinz sagte gerne zu. Eine weitere Nachricht kündigte den baldigen Besuch einer schönen Prinzessin aus dem Osten an.
Um einkaufen gehen zu können, verließ er das Haus. Vor dem Haus sah er eine alte Nachbarin sich mit ihrem schweren Einkauf abmühen. Er trat auf sie zu und half ihr, den Einkauf ins Haus zu tragen.

Sie bedankte sich mit einem Lächeln, das er erwiderte und das auf seinem Gesicht blieb, als er die Straße entlang ging. Ein Sonnenstrahl traf eine Pfütze und ließ sie silbern glitzern. Der Prinz trat mit einem großen Tritt in die Pfütze, das Wasser spritzte nach links und rechts und ein kleiner Junge fuhr lachend auf seinem Rad an ihm vorbei.

Das Leben war schön.



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