Die Gartenparty der schönen neuen Welt
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Gastautor: ibamvidivici
Zukunft kann so schön sein! Wir schreiben das Jahr 2030, vor fünf Jahren haben sich Grüne, SPD und Linke zur neuen gKPD (genehmigte Kommunale Ableger-Partei der Weltregierung zur Verwaltung des Deutschen Siedlungsgebietes) zusammengeschlossen und das nun 5-jährige Bestehen feiert jeder gute Passbesitzer mit. Denn eine ausschließlich erfolgreiche Partei muss einfach gefeiert werden!
Es ist eine Gartenparty, wie heutzutage üblich, ohne festgelegten Zeitpunkt für Beginn und Ende. Das wird für jeden Gast einzeln & zentral festgelegt, denn man muss sich nach den zugewiesenen Lade-Slots der Gäste für den Energieverbrauch ihrer Elektroautos richten. Unter dem Schlagwort „Flatten the Curve“ ist diese Abhängigkeit für die Tagesplanung allgemein akzeptiert.
Ausnahmsweise darf per allgemeiner Sonderverfügung aus Anlass des Tages auch gegrillt werden, was normalerweise wegen der schlechten Energieeffizienzklasse durch die ungenutzte Abwärme verboten ist. Natürlich sind nur gut gedämmte Elektrogrills mit fest schließenden Deckel erlaubt. Aber schon der Gedanke an dieses inzwischen seltene Flair sorgt für gute Laune und die texturierten Sojaproteinkonzentrate waren in den Supermärkten entsprechend schnell ausverkauft. Fleisch ist seit fünf Jahren nur noch für den Export zugelassen und jedes Kind lernt bereits in der Grundschule, dass die Antwort der Passbesitzer im 18. Jahrhundert auf die Frage 'Was erwarten sie sich von der Französischen Revolution?', war: „dass jeder Pass-Bürger Frankreichs sich sonntags ein frakturiertes Sojaproteinisolat mit Methylcellulose leisten kann!“
Damit nicht so auffällt, dass es sich nur um schäbigen Ersatzstoff handelt, werden diese Sojaisolate einfach Fleisch genannt. Jeder macht mit, denn keiner will die gute Stimmung mit Aufdeckung der Selbstlüge zerstören, oder Fragen „wie kann man nur so voller Hass und Verbitterung sein?“ hören. Gegrilltes tofuähnliches Erzeugnis wird auch nicht mehr gegrillter Tofu genannt, sondern mit „Will noch jemand grilled Chicken?“ an die Gäste verteilt. Brot heißt aber weiterhin Brot und wird nicht Kuchen genannt. Auch Kohlrabi wird noch nicht Banane genannt, wenn Bananen gerade aus sind.
Dass die Gäste nach und nach eintrudeln, statt wie früher alle zugleich, wird als Riesenfortschritt positiv aufgenommen. Weil der vorgeschriebene Gesundheitsbeauftragte so genügend Zeit bekommt, die 15 Tests zum Nachweis des Gesundseins je Gast aufzunehmen und zu protokollieren und ihm damit weniger Fehler unterlaufen, bei Überprüfung von Wasserzeichen und Echtheitszertifikaten. Feiern ohne Angst, lautet die Devise. Und ohne Zertifikat gibt es nunmal auch für gute Freunde kein Vertrauen.
Zu Beginn der Party gibt es wie üblich leichten Smalltalk über die neusten technischen Entwicklungen zur Vermeidung klimaschädlichen Nachwuchses, und man schätzt spaßeshalber ab, wie viel CO2 man wieder kollektiv eingespart habe, mit 99,9999% gegenüber der alten Methode, mit nur 99,99% Sicherheit bei der Verhütung.
Der Garten ist schön geschmückt, jeder probiert seinen Nachbarn in der Anzahl der Regenbogenfahnen zu übertreffen. Ballons sind aufgehängt und jemand hat sie mit Edding mit neckischen Sprüchen wie „Don’t drink and drive!“ oder „Don’t correct her, you don‘t know it better!“ oder „Accept her decision!“ oder „She starts, you follow!“ beschriftet, trendig und mittlerweile üblich nutzt man dafür griffiges Englisch. Hat auch den Vorteil, dass ältere Gäste aus dem dunklen Zeitalter das nicht verstehen und sich nicht wundern müssen, was heutzutage eine ungezwungene Party ist.
Mit jeder eintreffenden Frau steigt die Laufstärke um 20 Dezibel, mangels Kinder und mangels Flirts wird von den Damen umso emotionaler diskutiert. Natürlich kennt sich jede von Weizenzüchtungen bis zu kleinsten Details der internationalen Politik genau aus - selbst emotionale Zustände und heimliche Ängste von 10.000 km entfernten Politikern fremder Länder kennt heute jeder aus dem FF -, und umso stärker wird das richtige Wissen vertreten, besonders wenn jemand versucht, mit Alltagserfahrung oder Vergleiche in die Vergangenheit eine Entscheidung der Regierungspartei gKPD infrage zu stellen. Denn Wahrheit ist keine Möglichkeit von vielen, sondern unleugbar!
Ich unterhalte mich mit dem Sohn des Gastgebers. Er ist Mitte 30 und damit kurz vor dem Ende seines Studiums. Die Regierung hatte vor Jahren schon mit der Drei-L-Kampagne „Lebens-Langes Lernen“ die durchschnittliche Studiendauer stark ausgeweitet. Dabei wird allerdings nur von einer gKPD-eigenen Kulturstiftung freigegebenes Buchwissen vermittelt, Knowhow aus der Praxis wird nicht aufgebaut. Die Trennung der Unternehmen von ihrem Nachwuchs - und damit auch von der Möglichkeit für deren Befähigung - ist damit komplett.
Am Ende des Studiums wird jedem Abgänger eine freiwillige Musterung angeboten. Wer dort teilnimmt, wird mit ziemlicher Sicherheit als „nicht arbeitsfähig“ eingestuft, wodurch er direkt in die Frührente rutscht. All diese großzügigen Maßnahmen der Regierung haben die Arbeitslosigkeit auf 0% reduziert!
Dem Sohn des Gastgebers wurde seine Gesundheit in den obligatorischen wöchentlichen Terminen in den Teststationen bestätigt, und darauf ist er stolz und möchte seine Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung stellen. Er will ja nicht umsonst jeden Samstag mit Schlange stehen verbracht haben! Außerdem will er sich nun endlich ein Auto kaufen können. Sein Vater hat zwar schon mit Anfang 20 ein Auto gehabt, aber der Sohn ist ja noch Student, und Studenten hatten ja auch früher keine Autos, oder? Also! „Es liegt aber bestimmt nicht daran, dass Elektroautos, die es jetzt nur noch gibt, so viel teurer sind als Verbrenner“ fügt er schnell hinzu. Zudem sind Verbrenner so umweltschädlich wie ein Kind, zumindest in einer annahmelastigen Modellrechnung, also völlig indiskutabel über solche Optionen überhaupt nachzudenken!
Der Sohn möchte deswegen auch keine eigenen Kinder, sagt er mir. Stattdessen will er ein Kind aus Afrika adoptieren, „dort gibt es doch so viele, die keine Eltern haben und einen guten Vater brauchen!“ Und da diese Kinder schon existieren, gelten sie vor dem Amt als klimaneutral, was doch sehr wichtig ist, wenn man die Welt retten will!
Die Tochter des Gastgebers kreuzt uns und schaltet sich ein: ja, Kind geht gar nicht, will sie auch keins. Danach setzt sie sich auf den Schoß eines Betongießers und flüstert ihm was ins Ohr.
Bevor er in die Arbeitswelt einsteigt, möchte er aber erstmal ein Jahr auf Reisen gehen, meint der Sohn sich wieder mir zuwendend, nachdem er kurz neidisch auf die Schwester schaute, die im Gegensatz zu ihm viel Spaß hat. Ich pflichte ihm bei und empfehle ihn ein paar Länder, in dem die neue Weltregierung weniger Einfluss hat. Ich gebe ihm den Tipp, dass diese Länder in den Nachrichten immer unter „Steueroasen“ oder „ohne unsere Werte“ erwähnt werden, das ist quasi ein Qualitätssiegel, damit hat er eine Liste zur Auswahl. Der Sohn lehnt ab, er möchte mit dem Geld seines Vaters nicht die Falschen unterstützen und er werde deshalb nur innerhalb der EU reisen.
Wie viele Abgänger heutzutage würde er danach am liebsten „Kontrolleur im gehobenen Dienst“ werden. Kontrolleure werden derzeit sehr viele benötigt und viele haben bei ihren Eltern schon gesehen, dass man lieber der Kontrolleur ist, als der Kontrollierte. Natürlich heißen diese Jobs nicht Kontrolleur, sondern z.B. Umwelbeauftragter, Gesundheitsbotschafter, usw. Die den Kontrolleuren vom Staat großzügig zugestandene Entscheidungsfreiheit bei gleichzeitiger Haftungsfreiheit bei Verhängung von Strafen oder Anreizen gegen jeden, den sie nicht leiden können, machen den Beruf so attraktiv. Außerdem hat er den Betongießer schon mal versehentlich nachts getroffen und glaubt, dass der heimlich eine alte Villa für sich ausbaut. Das würde er gerne mal überprüfen, denn Bauarbeiten erzeugen immer ganz viel CO2, das darf nicht unkontrolliert bleiben, das ist doch Weltbürgerpflicht.
Eine Wolke zieht vorbei und der Elektrogrill muss kurz ausgeschaltet werden: bei bedeckten Himmel liefert die Solaranlage des Hauses nur noch 2 kWh, was bei 6 Einstehungsgemeinschaften, die das Haus bewohnen, nicht mehr für jeden Grill ausreicht. Da das Grillgut sowieso vorgekocht verkauft wird, kann man es aber auch lauwarm essen. Alkohol wird wenig getrunken, seit es für gesellschaftsschädlich erklärt wurde. Weil Alkohol aggressiv macht und den Regierungsvertretern das ein oder andere blaue Auge beschert hat, wenn diese zur Kontrolle des Gute-Party-Gesetzes vorbeischauten.
Dafür werden alle anderen Drogen, die früher „hart“ genannt wurden und die alle völlig unschädlich sind – sogar weniger Verkehrstote als Alkohol erzeugten, als sie noch verboten waren – reichhaltig konsumiert. Diese ehemals harten Drogen wurden von der gKPD, die ja generell für Freiheit steht, längst erlaubt. Dass diese harten Drogen passiv machen und Zufriedenheit erzeugen, und in Drogentrips Flucht aus dem besten Land der Welt ohne Interkontinentalflüge ermöglichen, ging mit deren Freigabe die Jugendproteste stark zurück. Die Wähler der gKPD, die sich vielzahlig aus den Alt-68 rekrutieren, haben den Erfolg dieser schon sehr alten Forderung gefeiert! Manche Kritiker sagen aber auch: klar, weil sie sich inzwischen selbst in einem kampfunfähigen Alter befinden, wo es wichtig wird, dass die Jugend nicht gegen die aufgeteilten Rollen zwischen denen, die sich aus dem Staatstopf bedienen und denen, die den Staatstopf füllen müssen, aufbegehrt.
Ich merke immer mehr, wie fremd ich hier wirklich bin. Na gut, frage ich den Sohn mal nach seinen Weibergeschichten! Er, statt von seinen jüngsten Eroberungen zu berichten, bringt nun tatsächlich die einzige Beschwerde vor, die ich auf dieser Gartenparty zu hören kriege: Es gibt da diese Typen, die haben schon ein Auto, obwohl sie das gar nicht dürften! Ihre Väter sind bestimmt Kriminelle, die die geltenden Gesetze umgehen, um ihren Söhnen unfairerweise eine bessere Jugend zu verschaffen! Die müssten eigentlich alle im Knast sitzen, aber irgendwie schaffen die es, jedes gute Gesetz für mehr Gerechtigkeit hinzuhalten!? Die Söhne dieser Väter, die sich dem Staat verweigern, schnappen ihm alle Weiber weg! Natürlich wäre er ohne dies Verzerrung die bessere Wahl, denn er steht wirklich auf der Seite der Menschheitsrettung, statt zu mogeln. Frauen sind besser als Männer und daher würden die sein Engagement auch erkennen und gut finden, aber diese lumpigen Söhne-mit-Auto verführen sie heimtückisch und doch immer wieder zu diesen gemeinen Bettgeschichten! Und deshalb gehe er leer aus.
Am frühen Abend kurz nach sieben verabschiede ich mich. Ich gehe von solchen Partys immer pünktlich weg, weil ab acht Uhr die jüngere Generation der Kontrolleure unterwegs ist, die beim Verteilen von Strafzahlungen ordentlich Aufschläge hinzufügt. Sie sind die großen Verlierer in dieser Welt mit der langweiligsten je gewesenen Jugendzeit und entsprechend wollen sie jedem um so mehr bestrafen, dem es augenscheinlich besser geht als ihnen selbst.
Der Gastgeber begleitet mich zum Auto. Er ist 65, kennt also noch die alte dunkle Zeit, als alle die Umwelt zerstörten und jeder seinen Nachbar erhängen wollte. Ich habe das Gefühl, er begleitet mich, um seine Gäste einmal los zu sein. Er wirkt etwas mitgenommen und ich frage ihn, wie es denn so geht. Er antwortet „schon OK“, was eindeutig zeigt, wie überaus glücklich er diese Zukunft findet! Er erzählt dann aber doch von Stress mit den Kontrolleuren, dauernd ändernden Regeln; aber bis zur Rente sind es ja nur noch 12 Jahre, die kriege er auch noch rum!
Mit ein bisschen Wehleid in der Stimme meinte er, er erwarte ja auch nicht viel, aber es wäre doch an der Zeit, endlich seine Enkel auf den Schoß halten zu dürfen. Ich sage ihm, da kann er ewig warten, seine Tochter will keine Kinder, sein Sohn auch nicht, nur ein fremdes Kind adoptieren. Er sofort: jaja, das meint er ja mit Enkel, also das Kind, das sein Sohn dann irgendwann mitbringt, dafür wäre es doch jetzt Zeit! Wo der Enkel herkommt und von wem er gezeugt ist, ist doch egal, weil Familie ist Familie! Doch wenn sein Sohn jetzt in der EU rumreist, vielleicht bleibt er ja für immer in einem anderen Land, und sein Elektroauto, ach, es wäre doch so kompliziert, wenn er immer tausende Kilometer fahren müsse, um seine Enkel zu sehen!
Ich scherze zurück, in die Nicht-Jugendorganisation Opas-gegen-die-Opposition[1] könne er ja trotzdem eintreten, egal in welchem Siedlungsgebiet der nichtblutsverwandte Enkel gerade länger dort Lebender ist. Damit fahre ich von dem geknickt wirkenden Mann mit seiner tollen Party voller affektierter 'glücklicher' Gäste davon. Auch er einer, der bestimmt immer nur das Beste wollte für seine Kinder und ihnen deshalb nie unerlaubtes Wissen vermittelte und bei der Erziehung folgsam auf die Ratschläge aus dem Staatsfunk achtete.
[1] ein Ableger der Omas-gegen-Rechts Rentnerorganisation
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