Vom Onkel lernen
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Gastautor: eisfreak
Viele Sachen, die für die ältere, weitgehend handyfrei aufgewachsene Generation selbstverständlich sind, hat die heutige Jugend nie gelernt oder erlebt. Durch die Entfernung der Väter aus dem Erziehungsprozess wachsen Jungs auf, die den Gebrauch von Werkzeugen als Teil der Alltagskultur nicht gewohnt sind. Ich komme mir schon unvollständig vor, wenn ich keine Werkbank mit solidem Schraubstock im Keller habe und mir mit mobilen Lösungen behelfen muss. Es ist leider fast schon die Regel, dass der vaterlose Haushalt auch einen weitgehend werkzeugfreien Haushalt mit sich bringt. Da geht eine Menge Problemlösungskompetenz verloren.
Wir wuchsen zu Hause mit einem zentralen Heizungskessel einer Warmwasser-Schwerkraftheizung aus den 30er Jahren auf, der mit reichlich Holz vorgeheizt wurde. Hinter dem Haus stand der Hackklotz. Wir Jungs lernten Holzhacken mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Schnürsenkel zubinden oder Rad fahren. Der Gebrauch von Axt und Beil ging uns in Fleisch und Blut über. Anhand der Wurfweite der Holzscheite erahnte man die mentale Situation des holz hackenden Bruders. Ich kenne einfach keinen besseren Aggressionsabbau als Holz hacken.
Es gibt im Grunde nur zwei Regeln: Beine auseinander und NIEMALS das zu teilende Holz mit der Hand fixieren. Gegebenenfalls verwendet man dazu ein schmales Scheit. Man hackt locker aus dem Handgelenk und nutzt die Schwungkraft maximal aus.
Dicke Wurzelknorren hackt man so an, dass man anschließend die Schose umdreht und das Gewicht des Knorrens zum Spalten ausnutzt. Man schlägt also mit der Axt zuerst auf den Hackklotz. Benötigt etwas Übung, aber funktioniert.
Mit dem Beil wird keine Wissenschaft betrieben und im nächsten Baumarkt eine Fiskars X10 geholt, fertig.
Elektrisch betriebene Holzspalter verhalten sich zur Handaxt wie die Teflonpfanne zur Reineisenpfanne und sind ein Zeichen der Dekadenz. Außer man ist über 70 und hat die Gicht. Aber dennoch sollte man seinem Neffen den Purismus des manuellen Holzhackens näherbringen. Es handelt sich hier um religiöse Grundsätze, deren Hinterfragung Holzhackhäresie darstellt.
Nach dem Holzhacken packt man das Morakniv oder jedes andere Messer mit Scandischliff aus. Hultafors oder Fiskars kann man natürlich auch nehmen. Jetzt üben wir mit dem Neffen das Herstellen des berühmten Feathersticks und – schön sachte – die Knüppelmethode des Holzspaltens kleiner Scheite oder dünnerer Äste. Das Suchwort heißt hier „Batoning“.
Sachte deshalb, weil bei den Einstiegsmodellen der Erl nicht durch den gesamten Griff reicht. Dafür bekommt man schon für zwanzig Euro ein gescheites Messer. Natürlich bekommt der Neffe sein eigenes Mora, die kosten ja nicht die Welt. Schließlich reden wir hier von einem Werkzeug in seiner zweckgebundenen, puren Ästhetik und nicht von einem Vitrinenmonster, das nur toll aussehen soll.
Nun folgt die Stunde der Wahrheit: gelingt es uns, mit dem ersten „Strike“ vom Feuerstahl das Feuer zu entfachen? Dafür sammeln wir Birkenrinde. Da kann man immer ein Beutelchen voll zu Hause haben. Es gibt kaum einen besseren Anzünder in der Natur.
Da ich es nicht so mit dem Feuerstahl habe, nutze ich selbst gemachte Wachspads. Dafür verwendet man diese Abschminkteile aus dem Drogeriemarkt und Kerzenreste. Die Wattepads wirft man in das flüssige Wachs und lässt sie auf Backpapier abkühlen.
Vor Ort knickt man die in der Mitte mehrfach um, bis feine Fasern abstehen. Jetzt kann man das Feuerzeug dran halten. Einfach ein Clipper an der Tanke holen, die sind kältefester als die beliebten Big Feuerzeuge und nachfüllbar. Für Euch getestet, dankt mir später.
Jedenfalls brennen die Wachspads einige Minuten mit starker Flamme und sind der Cheat Code für jedes Lagerfeuer.
Genug Survival und Bushcrafting, jetzt wird geschaufelt. Das will nämlich auch gelernt sein. Zuallererst der Grundsatz: „Mach die Schaufel halb so voll, wenn die Arbeit reichen soll!“ Haha, Späßchen. Aber im Ernst, eine kraftsparende Arbeitsweise muss gelernt werden. Nicht zu vergessen die anderen Bau- und Gartengeräte, je nach Möglichkeiten und Anwendungsfall.
Schauen wir uns das Fahrrad des Neffen an. Auch ohne großes Fachwissen kann man den Luftdruck prüfen. Wer keine Standpumpe mit Manometer hat, fährt mit dem Neffen zur Tanke. Dunlop- und Slaverandventile benötigen einen Adapter. Der maximale Reifendruck steht auf der Reifenflanke und hängt nicht vom Schlauch ab!
Reifen Flicken kann man auch üben, natürlich nur mit Flickzeug von TipTop. Wichtig ist sehr gründliches anrauen, etwas größer als der Flicken und man muss die vorgeschriebene Abluftdauer der Gummilösung penibel einhalten.
Auch beim Auto darf der Neffe beim Reifenwechsel, bei der Kontrolle von Ölstand und Wischerflüssigkeit dabei sein. Da kann man gleich mal erklären, wie ein Drehmomentschlüssel funktioniert. Mehr angewandte Physik geht ja wohl kaum.
Zum Geburtstag schenkt der coole Onkel natürlich dem Neffen eine 180er Knipex Alligator. Das ist die kleine Größe, welche auch für Kinderhände passt. Damit ist der Grundstock für eine solide, das ganze Leben begleitende Werkzeugausstattung gelegt.
Weiter geht es mit Multimeter und Messschieber. MESSSCHIEBER, bitteschön! Wir sind Männer und verwenden korrekte Fachbegriffe.
Wir erklären, dass man mit dem Multimeter nicht in der Steckdose herumstochert (wie seinerzeit klein Eisfreak, der die Stromstärke des Stromnetzes messen wollte und direkt die Schmelzsicherung gehimmelt hat). Man muss beileibe nicht alles wissen, aber sollte auf jeden Fall die Bedienungsanleitung mit dem Neffen gründlich durcharbeiten. Die Leerlaufspannung von Batterien kann man ermitteln, oder Durchgangsprüfungen durchführen.
Mit dem Messschieber kann man zum Beispiel den Kettenverschleiß am Fahrrad messen. Ihr findet die Methode mit diesem Gurgel, von dem immer alle reden. Oder man ermittelt den realen Durchmesser der Rollen an den Inline Skates, oder, oder, oder. Gönnt Euch bitte einen Messschieber mit digitaler Anzeige, macht die Messung sicherer.
Geht mit dem Neffen Wandern, zu einem Aussichtspunkt. Dort wird die topografische Karte oder der passende Ausdruck von OpenTopoMap ausgepackt und ein Kartenkompass. Ein Peilkompass geht natürlich auch. Mit Geodreieck und Bleistift üben wir das Hinterschneiden oder die Kreuzpeilung. So kann man ganz klassisch mittels zweier bekannter, markanter Landmarken den eigenen, ungefähren Standort bestimmen.
Die Küche ist nicht zu vergessen. Stellt selber leckere Limo aus frisch gepressten Zitronen her. Das Rezept ist simpel und findet sich auf den üblichen Rezeptportalen.
Anschließend macht man frische Pizza aus selbst gemachten Teig, schnippelt das Gemüse für eine Ratatouille, oder backt einen Apfelkuchen aus den unterwegs beim Wandern aufgesammelten oder am Hofverkauf erworbenen Äpfeln.
Und nicht zu vergessen: wie brät man das Steak in der Eisenpfanne. Hätte ich ja fast vergessen. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit wird ebenfalls der Aufbau des ultimativen Eibrötchens erläutert. Dieses Wissen darf nicht verloren gehen!
Als ich noch mit meiner damals kleinen Tochter im Innenhof auf den Spielplatz gegangen bin, waren die dort herumlungernden Jungs – die natürlich alle faktisch ohne Vater aufwuchsen – ganz wild auf ein längeres Stück Seil und ein paar alte Kletterkarabiner. Damit konnten die sich stundenlang beschäftigen. Mit ein paar Knotenklassikern kann man richtig Eindruck schinden!
Einmal habe ich mir eine ganz simple Schatzsuche für einen Kindergeburtstag ausgedacht. Nichts Wildes, nur eine „Schatzkarte“ mit Anweisungen, wo der „Schatz“ zu finden sei. Die Kinder waren begeistert. Es geht auch ohne App und GPS. Die herumlungernden Jungs hätten sonst was gegeben, um mitmachen zu können.
Ich denke, ihr habt das Prinzip verstanden. Es geht um alte, handwerklich orientierte Fähigkeiten. Etwas, das auch ohne Strom und Batterien funktioniert. Etwas aus der alten, analogen Welt. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was die heutigen Kinder für große Augen machen, wenn ihr mal eine alte mechanische Schreibmaschine vom Speicher holt und lostippt.
Jetzt seid ihr, die coolen Onkels dran: Was würdet IHR Eurem Neffen beibringen? Schreibt es in die Kommentare!
Weiterführender Link: TrennungsFAQ
Ratsuchende Väter finden im TrennungsFAQ-Forum konkrete Hilfe
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