Das Märchen von der glücklichen Frau

» Artikel vom
Gastautor: ibamvidivici
Es war einmal ein junger Mann. Der fuhr Fiesta und lebte in einem kleinen Haus. In dem Haus gab es nicht viel: ein Stuhl, ein Tisch, ein Bett, ein Schrank. Über dem Tisch hing ein hölzernes Schild, auf dem stand: 'Es ist gut so.'
Eines Tages traf dieser Mann auf eine Frau. Und da hat er sie mit nach Hause genommen. Hinterher wusste er selbst nicht mehr, warum. Aber sie war nun bei ihm und so lebten sie glücklich zu zweit in dem kleinen Haus.
Glücklich? Fast glücklich, denn der Mann war zwar glücklich, aber die Frau wurde von Tag zu Tag weniger glücklich. Da fragte sie der Mann, ob ihr etwas fehle, und sie antwortete ihm: „Ach Mann, eigentlich fehlt mir nichts, aber dein Fiesta ist schon so alt. Hätten wir einen Landrover, dann wäre ich glücklich!“ Na gut, dachte sich der Mann, ich will ja, dass meine Frau glücklich ist. Und er kaufte einen Landrover und seine Frau war glücklich. Aber nach einer Weile verzog sie wieder das Gesicht, als wenn sie große Schmerzen hätte. Und der Mann fragte sie wieder, ob ihr was fehle. Sie antwortete ihm: „Ach Mann, bei Tedi gibt es Plastik-Deko und LEDs für nur 3 bis 5 Euro. Leider haben wir so ein kleines Haus. Wenn wir ein größeres Haus hätten, dann könnte ich viel Deko kaufen. Das tut uns nicht weh, weil Deko ist ja nicht teuer.“ „Na gut“, sagte der Mann, und er baute ein großes Haus, kaufte größere Möbel und größere Teppiche, und musste nun monatlich 800 Euro mehr für Fixkosten aus seinem Geldbeutel blechen. Dafür gibt es viel Deko für kleines Geld und reist im Geldbeutel der Frau kein Loch. Über dem Tisch hing jetzt ein Schild mit einem englischen Spruch, denn englische Sprüche kann man weltweit verkaufen und solche Schilder sind daher billiger zu haben. Es war auch nicht mehr aus Holz, sondern aus Laminat.
Seine Frau war daraufhin sofort wieder glücklich und der Mann konnte abends geruhsam auf der Terrasse vor seinem neuen Haus sitzen und in den Abendhimmel gucken. Nur halt sehr viel seltener, denn er musste jetzt viel mehr arbeiten und Abends musste er im großen Haus viel mehr putzen als vorher im kleinen. Aber seine Frau schien ihm endlich glücklich zu sein!
Jedoch der Schein trügt, mit der Zeit guckte sie immer wehleidiger. Der Mann sagte: „Ich habe dir ein schönes Auto und ein noch schöneres Haus gekauft, was ist es, was dir jetzt noch fehlen könnte?“ Die Frau antwortete: „Ach Mann, es ist ja alles gut, wir haben genug. Aber in meinem Becken, da fühlt es sich so leer an, ach könnte ich doch nur endlich ein Kind austragen.“
„Na gut“, sagt der Mann, und er machte ihr ein Kind. Und dann noch eins. Und dann noch eins. Doch dabei stellte sich heraus, dass sie doch noch längst nicht genug hatten! Es musste noch ein Kinderzimmer eingerichtet werden. Und dann noch eins. Und dann noch eins. Und dann musste das erste Kinderzimmer wieder neu eingerichtet werden. Und dann das zweite. Und dann das dritte. Dafür kochte die Frau jetzt selbst. Für die Kinder. Aber die Reste, die dabei übrig blieben, die hatte sie ja für ihn gekocht! Der Mann war zufrieden. Und fuhr nur noch mit dem Fahrrad, denn die Frau brauchte jetzt das Auto. Das war auch kein Landrover mehr, sondern ein VW California E-Hybrid.
Aber dennoch, jedesmal wenn er mit seiner Frau zusammen war, verzog sie das Gesicht, als hätte sie gerade einen schmerzhaften Unfall gehabt. „Schon wieder!“, knurrte der Mann ganz leise. Und liebevoll fragte er sie, warum sie immer so ein Herbstgesicht zeige und ob sie nicht glücklich wäre. Denn glücklich müsse man doch sein, das wäre das mindeste, was man von den anderen erwarten könne, dass sie einen glücklich zu machen haben!
„Ach Mann“, antwortete ihm die Frau, „unsere Kinder, die sind was ganz Besonderes! Daher sind sie auch ganz besonders anstrengend. Wenn sie doch nur in den Kindergarten gehen würden, dann könnte ich mich auch mal etwas ausruhen! Das verstehst du doch?“ Ja, das verstand der Mann, schließlich hat er ja auch Feierabend, wo er nicht mehr arbeiten muss sondern sich endlich ausruhen und um die Kind kümmern durfte. Oh Moment, fiel ihm da ein: wenn die Kinder in den Kindergarten gehen, dann hat die Frau ja auch jede Menge neue Freizeit, und Freizeit kostet, das weiß jeder, nichts ist umsonst!
Und so schickte der Mann alle seine Kinder in den Kindergarten, zahlte dafür 200 Euro monatlich pro Kind, und der Frau nochmal denselben Betrag obendrauf, damit sie auch mal mit ihren Freundinnen Brunchen gehen könne, während die Kinder im Kindergarten und er auf der Arbeit ist.
Die Frau war nun endlich glücklich. Aber nur ein paar Tage später schon war es damit wieder vorbei. Kurios, sie war nun unglücklicher als vorher, als die Kinder noch nicht in den Kindergarten gingen. Oft schon morgens um 7 war sie todunglücklich und damit sehr übellaunig. Wiederum fragte der Mann die Frau, was sie denn dauernd so zwicke, dass sie einfach nicht glücklich werden könne. "Ach Mann", sagte ihm die Frau, "wie soll ich glücklich sein, wenn ich alles alleine machen muss? Jeden Morgen muss ich schon früh um 7 die Kinder wecken, anziehen und für den Kindergarten fertig machen. Das hatte ich vorher nicht. Warum fällt diese neue Aufgabe denn nun wieder auf meine Kappe? Ich mache doch ansonsten schon alles!". Der Mann wollte gerade grübeln, ob seine Frau tatsächlich alles mache. Vor allem um die Familienfinanzen machte sie sich viel weniger Sorgen als er. Aber er besann sich sofort, dass er ja ein Mann ist, und Männer sind Pragmatiker. Und seine Frau sollte spüren, dass sie mit einem Macher zusammen war. Also stand er ab sofort jeden Tag eine Stunde früher auf, machte nicht nur sich, sondern auch die Kinder fertig, schmierte den Schulkindern das Brot für die Frühstückspause und brachte die Kleineren in den Kindergarten. Dadurch musste er nun 1 Stunde später in der Arbeit anfangen, also abends 1 Stunde länger arbeiten als bisher. Zum Abendbrot war er nun nicht mehr dabei, aber durch das Abräumen der Küche, Geschirr und Töpfen - was am Tag halt so anfällt - verbrachte er ja dennoch viel Zeit in der Familie. Nur eben nicht mit den Kindern oder seiner Frau. Letztere konnte jetzt wieder wie vorher jeden Morgen ausschlafen. Und das tat sie, und sie war endlich glücklich!
Ein paar Wochen war alles gut. Bis auf die grauen Haare, die der Mann jetzt plötzlich und sehr schnell bekam. Das störte ihn. Auch war er jetzt immer öfters übel gelaunt, ohne das er wusste warum. Einmal ohrfeigte er sogar seine Kinder, was ihm sofort leid tat. Und dann ärgerte er sich noch mehr über sich selbst und bekam noch mehr graue Haare. Es war doch aber alles gut, oder?
Nicht ganz sicher lugte der Mann zu seiner Frau auf der Couch im Wohnzimmer, während er Tisch und Küche putzte. Aber, oh weh! Seine Frau schaute gar unglücklich in das große Wohnzimmer mit dem großen Fernseher, den teuren Echtholzboden und den wertvollen Gardinen. Der Mann fragte, was sie habe, und da sie ja schon alles haben, könnte es ja jetzt höchstens die Seele sein, die sie so bedrücke! Und er wollte sie in den Arm nehmen. Doch die Frau stieß ihn weg und sagte: „Da hast du ganz recht, Mann, es ist die Seele! Denn ich bin nicht so eine, Materielles bedeutet mir nichts. Es kommt doch nur darauf an, sich wohl zu fühlen und dass es der Seele gut geht. Aber meine Seele ist krank. Es ist das Fernweh, dass sie befallen hat! Sieh mal hier auf Instagram, wo meine Freundinnen schon überall waren! Ich muss mal hier raus, ganz weit raus! Nach Bali! Mindestens!“
Der Mann entschied sich für das 'Mindestens', denn mehr konnte er sich sowieso nicht leisten. Und so flogen sie nach Bali. Und das taten sie ab jetzt jedes Jahr.
Jetzt hatten sie ein schönes Haus, schöne Autos (inzwischen zwei), schöne Urlaube, und die Kinder störten auch nicht mehr das Glück, weil diese tagsüber kaum noch zu Hause waren. Und zum Wahltag schmückten sie ihr Gartenzaun mit Plakaten, denn Demokratie ist etwas Tolles! Deswegen schmückten sie ihren Garten auch nur mit Plakaten der Regierung, denn die Gegner der Regierung waren doch nur Egoisten, die der demokratisch gewählten Regierung die Macht wegnehmen wollen! Also Antidemokraten! Das muss man doch verhindern. Besonders wenn man doch nur dank der Regierung so glücklich war. Aber halt! Waren sie auch wirklich glücklich? Der Mann leerte sein alkoholfreies Radler, dass er sich während der Gartenarbeit gönnte und schaute zu seiner Frau, die gerade vor dem Fernseher saß: ob sie glücklich ist?
„Ach Mann“, sagte die Frau, die seine zweifelnden Blicke bemerkt hatte, „mit uns ist alles im Reinen. Aber dieses Land, man fühlt sich ja inzwischen selber fremd hier! Die Regaleinräumerin im Supermarkt gestern konnte mir nicht helfen, weil sie meine Sprache nicht verstand, unterhielt sich stattdessen mit anderen Kunden in einer Sprache, die mir völlig fremd ist! Ich konnte sie kaum erkennen, weil doch nur ihre Augen durch diesen Sehschlitz zu sehen waren, aber es schien mir, als wollte sie unsereins loswerden!“ Der Mann seufzte: „Ja Frau, dasselbe habe ich auch schon bemerkt. Ich arbeite ja inzwischen remote, da gibt es viel mehr Möglichkeiten als früher!“ Die Frau überlegte nur kurz: „Ich muss hier weg“, sagte sie, „weißt du noch, in Bali, die waren da immer so nett. Und außerdem sprechen die da englisch, das versteht man wenigstens!“
Der Mann arbeitete jetzt von morgens um fünf bis spät in die Nacht, um letzte Vorbereitungen für eine Ausreise zu treffen. Nachdem alles verkauft und alle Impfungen aufgefrischt waren, zogen sie um nach Bali. Denn glücklich kann man in der Heimat nicht mehr werden. Die Kinder waren gar nicht gefragt worden, denn es reicht, wenn die Frau glücklich ist, dann geht es auch den Kindern gut.
In Bali bekam der Mann einen Herzinfarkt und starb. Die Kinder sind daraufhin sofort zurück nach Deutschland gezogen und schlagen sich durch. Und die Frau? Na die sitzt im Paradies - und ist endlich glücklich, oder etwa nicht?
Diskutiere über diesen Artikel und teile Deine Erfahrungen mit anderen Lesern!
Beachte bitte die Kommentarregeln!
Wenn Du selbst spannende Themen oder interessante Erfahrungen hast, dann schreib doch einen Gastartikel darüber, natürlich völlig anonym. Unser Gastartikelportal mit weiteren Informationen findest Du hier.
Hast Du auf dieser Seite einen Fehler entdeckt? Auf unserer Fehlerhinweisseite kannst Du uns darauf aufmerksam machen und eine Korrektur vorschlagen.