Reif für die Insel (Teil 2)

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Gastautor: eisfreak
Reif für die Insel Teil 2
Am nächsten Morgen überschlage ich meine Wasservorräte, bestimme die Entfernung zum nächsten Ort und stelle fest, dass ich mit Wasser haushalten muss. Aber ein Morgenkaffee muss sein. Dann geht es erst richtig hinauf in das Bergmassiv. Es sieht aus wie im Spaghettiwestern der 70er Jahre – die nackten, ausgeblichenen Felsen, die karge Landschaft, weiter unten eine Finca mit großer, runder Zisterne. In meinem Kopf pfeift die Titelmelodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“ und ich warten nur noch darauf, Charles Bronson um die Ecke stiefeln zu sehen.
Ein verlassener „Almhof“ mit halb verfallenen, simplen Steingebäuden perfektioniert diesen Eindruck. Erst recht, als sich ein kleines, rundes Türmchen als Brunnen entpuppt. Am Strick hängt eine halbe PET-Flasche zum Wasserschöpfen. Wasser! Chlorfrei! Ich fülle alles, was ich habe, damit auf – das sind dann 3 Liter. Die werde ich bis zum Ende der Woche sorgsam hüten und überall mitschleppen.
Das erneuert die Lebensgeister. Wasser ist DIE Ressource in den Bergen. Ich trabe frohgemut in den nächsten Ort, bewundere immer wieder, mit welcher Kunstfertigkeit die Trockensteinmauern zur Landschaftsformung verwendet wurden und sich perfekt in die Umgebung einpassen. Der Plan: im Ort die Vorräte auffüllen, einen Kaffee trinken und die Tour fortsetzen. Ein genialer Plan. Wirklich.
Der Ort hat da andere Ansichten. Ich irre durch schmale Gassen, die Hauptstraße hoch und runter – alles ist verrammelt und verriegelt. Der Ort hält kollektiven Winterschlaf. Ein Einheimischer zeigt mir die Bushaltestelle. Damit ist die Tour erstmal gestorben, ohne Nachfassen funktioniert das nicht, ich kann höchstens zwei Tagesrationen mitschleppen und eine Stärkung im Warmen ist auch nicht zu verachten, nach einer maximal 3 °C kalten und windigen Nacht.
Abbruch!
Während ich auf den Bus warte, buche ich mir für die restlichen Tage tipitap nochmal 5 Nächte in dem Hostel von der ersten Nacht. Macht ja nichts, ich kann ja die Inselerkundung auch etwas ruhiger angehen. Dank des ausgezeichneten Regionalbusnetzes ist man sehr mobil und kann bis in die hintersten Winkel gelangen. Beim Einsteigen zieht man die Kreditkarte über ein Terminal, beim Aussteigen über ein anderes, und schon hat man die Fahrkarte mit Bestpreisautomatik gekauft (die Abrechnung erfolgt erst nach einigen Tagen).
Dann kommt noch ein anderer Wanderer, will auch zurück nach Palma, und erklärt mir, dass er fast den ganzen GR 221 gewandert ist. What?! Doch, alle Hütten hätten offen, alles frei, man muss nicht vorbuchen wie in der Saison, leckeres und billiges Essen gibt es obendrein, sodass man sich unterwegs kaum versorgen muss.
Na, da staune ich erstmal Bauklötze. Leider bleibt das Gespräch nicht bei unverfänglichen Themen, der Fronturlaub ist vorbei, vor mir sitzt das nicht arbeitende „Rich Kid“ aus einer Großstadt mit gefestigtem Klassenbewusstsein. Jeder Ansatzpunkt wird gnadenlos zu einer rhetorisch recht rustikalen Präsentation der korrekten Meinung genutzt. Ihr habt ja keine Ahnung, was für so einen politisch korrekten Dude auf Mission Triggerpunkte sind. Eigentlich alles.
Es fängt damit an, dass wir uns austauschen, warum wir hier sind. Ich erzähle ihm obiges Erwähnte, also dass ich nicht nur „Mimimi“ habe, sondern handfeste medizinische Gründe für die Festlandflucht. Schon erfolgt eine harsche Belehrung über die pathologischen Merkmale einer echten Depression, und das damit keinesfalls zu scherzen sei. Oha. DAS ist die neue Elite der ehrenamtlichen Politkommissare - 24/7 im Dienst, jedes unbotmäßige Räsonieren wird im Keime erstickt. Der hat ja gar keine Ahnung, wo ich schon durch musste, weiß nichts von Todesfällen aufgrund psychischer Probleme in meinem unmittelbaren familiären Umfeld. Es geht ja auch nicht um mich, ich bin ja in dem Moment nur die Projektionsfläche der leuchtenden Selbstgerechtigkeit, die sich im Reflektieren selbst bestätigt.
Immerhin gelingt es mir, aus ihm eine Aussage zum besten Abschnitt des Fernwanderweges herauszuholen. Damit steht der neue Plan fest: ein Tag in Palma zum Regenerieren und Tour sorgfältig vorbereiten, dann nochmal zwei Tage ins Gebirge. Bleibt dann noch ein Tag über, an dem ich im Gewerbegebiet auf Esoterik-Isolde traf. Aber dazu kommen wir später.
Wir, das Rich Kid und ich, schauen noch auf ein Bier auf dem Weg ins gemeinsame Hostel vorbei, irgendwo in den Gassen. Ich erzähle ihm einige Bonmots aus dem DDR-Sozialismus. Auch die Sachen, die dank zentraler Organisation besser liefen, damit er nicht gleich dicht macht. Sein Kommentar dazu: „Zum Glück hat sich das ja weiter entwickelt.“
„Hat sich was?“, regt sich in mir Widerspruch. Was hat sich an Kommandowirtschaft und 100%-Besteuerung des Mehrwerts zum Zwecke der totalen Umverteilung denn geändert? An der Folge, dass so jede private Initiative im Keime erstickt wird und sich irgendwann ALLE auf die Kraft des Kollektivs verlassen, das ja durch die gleichen Menschen gebildet wird, die gerade alle Fünfe lang sein lassen?
Natürlich behalte ich diese Gedanken für mich, mein Rich Kid wäre mit solch komplexer Rhetorik hoffnungslos überfordert. Man darf ja nicht vergessen: wenn Du (ernsthaft) mit einem Idioten diskutierst, diskutieren zwei Idioten. Als wir nämlich beim Thema Steuern und Abgaben angekommen sind, und ich da auf das Motivationsproblem hinweise, kommt er mit dem Argument um die Ecke, ob mein Einkommen nicht für mich langen würde. Da ist er bei mir an der richtigen Adresse: Ich sage nur, dass ich ja dafür auch mit meiner Gesundheit bezahle.
Im Grunde gibt es da zwei Arten der Argumentation, die sich immer wiederholt: XY gab es auch früher schon, aber man hat darüber nicht geredet. Oder es heißt: „Aber nicht alle“. Was man ja auch nicht behauptet hat, aber Logik ist ja wieder so ein patriarchalisches Konzept.
Das war aber nun endgültig genug Politik, und ich hatte einen Trick gefunden, solcherart unfruchtbare Diskussionen einzubremsen, dazu später. Zunächst suche ich wieder was zu Essen und lande spontan in einer Pizzeria. Die sieht erstmal aus wie eine Filiale von Dominos, aber bietet eine ganz andere Qualität. Die Pizza hat einen hauchdünnen Boden, sowas habe ich noch nie erlebt. Der Rand ist dick wie eine Bockwurst, ein richtiger Griff zum Essen quasi. Für die Tomatensoße werden nur San Marzano Tomaten verarbeitet. Es schmeckt einfach traumhaft, und das liegt gewiss nicht nur an der Urlaubslaune. Unglaublich.
… Fortsetzung folgt!
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