Reif für die Insel (Teil 4)

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Gastautor: eisfreak
Reif für die Insel Teil 4
Das Wetter hat sich etwas eingetrübt, aber ist nicht wirklich schlecht. Es geht, als Variante zum Hauptwanderweg, einen sehr felsigen Pfad stetig bergan. Kleinere Regenfronten ziehen durch, sodass ich unentwegt den Rucksack absetze, um die Regenjacke auszupacken. Dann hört es wieder auf und ich fange an, unter der wasserfesten Jacke zu dampfen, ich mir ziehe mir die Jacke gar nicht mehr richtig an, sondern setze nur die Kapuze auf und verknote die Ärmel vor der Brust. So sind die Schultern geschützt und der größte Teil des Oberkörpers.
Relativ unvermittelt tauch vor mir eine gewaltige Felswand auf, der Weg geht über glatte Steinplatten und man muss sich an einer Kette festhalten. Ja, das ist ganz nach meinem Geschmack! Man steigt steil hinab, überwindet eine Felsstufe und quert wieder zurück, immer mit den Händen an der Kette. Dann kraxelt man wieder auf das Hochplateau, wo ich auf eine Gruppe wandernder Rentner treffe. Mit ordentlich beladenen Rucksäcken und derben Schuhwerk bahnen die sich ihren Weg durchs Gebirge, lassen sich vom Nieselregen die gute Laune nicht verderben. Das hätte ich nicht vermutet, dass off-season die Einheimischen so aktiv in den Bergen unterwegs sind. Muss ein zähes Bergvölkchen sein, da an der rauen Westküste mit den zahllosen Terrassen aus Trockensteinmauern.
Der Weg erreicht eine Scharte im Kamm und schon geht es hinab in das nächste Hochtal, welches zwei Seen beherbergt. Da pfeift der Wind ganz ordentlich, sodass ich im Zuge des Jonglierens mit Regenjacke, Windjacke Fleecejacke jetzt alles auf einmal trage. Eine Pause wäre nicht schlecht, aber ein geschütztes Plätzchen will erstmal gefunden sein. An einer privaten Hütte (die kann man nur komplett mieten) finde ich eine geschützte Ecke, wo ich mir einen Kaffee koche und ein paar Snacks aus dem Rucksack angle. Kaum habe ich ausgetrunken, fährt ein Pickup vor und jemand hantiert das mit irgendwas. Da fallen mir die Schilder ein, auf denen stand, dass man das Gelände nicht ohne Genehmigung betreten darf. Ich schlurfe aus dem Gelände heraus, aber der Typ macht nur seinen Job und pumpt das Plumpsklo aus. Ja klar, der See ist die strategische Wasserreserve für ganz Mallorca und da wäre eine Sickergrube fehl am Platz. Mit einem ¡Hola! setze ich unbehelligt meinen Weg fort, und erreiche am Talende ansteigend einen Pass, mit dem letzten Blick mitten in die wilde Bergwelt.
Was soll denn noch groß passieren, denke ich mir, und setze fast wehmütig meinen Weg fort, da der Zielort Sóller schon auszumachen ist. War es das schon? Gedankenverloren folge ich dem Weg, der Wind lässt nach und ich kann wieder einige Schichten ausziehen. Während ich das mache, hüpft eine Art Rotkehlchen um mich herum, pickt sich allerlei Nahrung vom Boden und hat so gar keine Scheu. Runde um Runde, bis ich weiterlaufe. Vielleicht dachte sich der gefiederte Kumpel, dass er bei mir sicher vor Greifvögeln ist?
Bald tauchen wieder Trockensteinmauern auf, der Weg ist mit den runden Kullern gepflastert, und eine Schlucht tut sich auf. Wow, das sieht rasant aus, ich knipse in der Gegend herum. Der Weg schlängelt sich weiter bergab und erreicht schließlich ein steil abfallendes Hochtal, so in der Form einer Einbuchtung in das Bergmassiv, wo man endgültig im Gravitationszentrum der Trockensteinmauern angelangt ist. Mir bleibt buchstäblich der Mund offen stehen, angesichts der schieren Menge an Mauern und kühn in den Hang gebauten, sacksteilen Erschließungswege. Uralte Olivenbäume wachsen auf den zahlreichen Terrassen, ein Bergbach wird ebenfalls kunstvoll durch Trockensteinmauern eingegrenzt, mit jedem Schritt steigert sich die Szenerie, man kann es kaum fassen. Dann verengt sich das Tal zu einer kühnen Schlucht, um dann wieder in zahllose Terrassen überzugehen.
Was haben die da, über Jahrhunderte, für eine gigantische Arbeit geleistet! Wie oft sind die stundenlange bergan marschiert, um dem kargen Gelände in zäher Plackerei eine Ernte abzutrotzen? Ich bin selber Handarbeiter, wenn auch in Metall, und mein Respekt vor dem standhaften Bergvolk steigt gerade gewaltig an. So eine Symbiose aus Naturgegebenheiten und menschlicher Nutzung, fast ausschließlich mit lokalen Ressourcen, habe ich noch nie gesehen.
Die ersten Ausläufer von Sóller tauchen auf, ich finde eine kleine Bodega, und kann mich erstmal mit Grundnahrungsmitteln stärken: Kaffee, Kuchen, frisch gezapftes Bier. Durch langgezogene, enge Gassen gelange ich zum Marktplatz, und finde durch weitere Gassen zur Bushaltestelle. Da kommt er auch schon, zum Glück verspätet, und es geht im auffrischenden Nieselregen zurück nach Palma. Auf dem Handy sehe ich, dass oberhalb des Tunnels, den wir gerade durchfahren, hübsch viele Serpentinen zu finden sind. Das klingt nach einer rasanten Radtour. Oder ich riskiere die Lendenwirbelschmerzen meines Lebens und fahre mit dem Jimny nach Mallorca. Da würden wir uns ja sofort zu Hause fühlen, so viele Jimnys und Vorgängermodelle, wie man hier sieht, habe ich zuletzt im Hochsauerland gesehen. Jimny-County!
Auf dem Weg zum Hostel stoppe ich noch auf eine Nudelsuppe beim Asiaten und muss dann feststellen, das meine Bettdecke und das restliche Bettzeug aus der Koje verschwunden sind. Dabei hatte ich eine Mail an die Rezeption gesendet, dass ich die eine Nacht auswärts übernachte und in den Bergen wandern bin. So muss ich abends halb zehn mühsam in der engen Koje nochmal das Bett beziehen, bis ich dann endlich die müden Knochen zur Ruhe legen kann.
Am nächsten Tag fahre ich nochmal zu dem Decathlon vom ersten Tag, da ich schuhtechnisch grenzwertig ausgerüstet war und ganz in Ruhe schauen will, was Decathlon da zu bieten hat. Sonst hetze ich immer kurz vor Ladenschluss durch die Regale. Ich laufe ausführlich alle infrage kommenden Leichtwanderschuhe probe und finde die stabilere Version meiner Wanderhalbschuhe, welche aber immer noch sehr leicht sind für die Kategorie. Dann zieht es mich mit aller Macht in die Abteilung mit den Inlineskates. Ich lege mein Zeug auf eine Anprobierbank und schlüpfe in ein Paar MF500, ein für den Preis sehr performanter Freerideschuh. Oh ja, das tut gut, ein paar kleine Tricks auf dem schönen glatten Fußboden mitten im Decathlon rauszuhauen!
Da spricht mich eine schlanke, sportliche Frau an und fragt mich auf Englisch, woran man denn nun gute Inliner erkennt. Da kann ich natürlich weiterhelfen und wir stellen schnell fest, das wir auch auf Deutsch weiter reden können. Ich weise auf die hochwertigeren Softboots mit Aluschiene hin, aber mein Favorit ist der legendäre MF500, mit dem man sowohl einfach durch die Stadt düsen kann, als auch rasch die ersten Tricks lernt.
Wir suchen nach dem passenden Paar Inliner und nachdem ihre Größe leider nicht vorrätig ist, beschließen wir, unser Gespräch im nächstbesten Restaurant in dem Geschäftszentrum fortzusetzen. Da quatschen wir munter weiter, verstehen uns prächtig, lernen uns näher kennen. Sie, nennen wir sie Maria, ist irgendwann mal nach Spanien ausgewandert, ohne große einen Plan zu haben, nur mit dem Willen, sich ein neues Leben aufzubauen. Sie erzählt mir einige Anekdoten, wie sie zunächst auf dem Festland angekommen war, wo bald der Lockdown folgte, während dem die Behörden mit Autos durch die Straßen gefahren sind und alles mit Desinfektionsmitteln abgesprüht haben. Gruselig.
Dann macht auch die Kneipe langsam zu, wir gehen zu ihrem Auto und unterhalten uns noch weiter. Sie freut sich wie ein kleines Kind, was einen Keks in der Hand hält, dass sie mich getroffen hat. Man findet tatsächlich nicht viele Menschen, mit denen man sich ernsthaft über spirituelle Themen austauschen kann, uns gehen hingegen die Themen nicht aus. Handynummern sind schon längst ausgetauscht, es ist schon Mitternacht, als sie mich in die Stadt zurückbringt, da kaum noch Busse fahren.
Die Verabschiedung zieht sich auch ein wenig hin, höchste Zeit, körperlich ein wenig zu eskalieren. Nicht schlimmes – aber nur Reden, das ist immer noch reine Kopfsache, auch wenn man da emotionale Themen streifen kann. Der Test Nummer eins ist für mich der erste richtige Kuss (aber keine Garantie, nebenbei bemerkt). Da schlägt die Stimmung plötzlich um. Man merkt richtig, wie das egozentrische "ich" übernimmt und nun wieder ganz kühl und nüchtern kalkuliert wird.
Also, ich solle mir keine Hoffnungen machen, sie ist niemand für einen ONS.
Ja ne, sage ich, das hat sich doch alles ergeben, ist einfach passiert, was heute passiert ist. War ja nicht geplant.
Nebenbei bemerkt, eine ONS habe ich noch nie gemacht. Auch Männer können emotionale Grenzen haben, aber krieg das mal in Frauenhirne rein.
Dann erklärt sie mir, dass sie auf den passenden Mann wartet. Das müsse ich verstehen. Das Schicksal hat das schon alles vorbereitet, er wird kommen, das steht fest. Da sie Veganerin ist, keinen Kaffee und keinen Alkohol trinkt, soll ihr Traummann auch Veganer sein, keinen Kaffee und keinen Alkohol trinken, alles andere sei zum Scheitern verurteilt.
Na prima, denke ich mir. Herzchen, Du bist jetzt 46, vor Dir steht ein aktiver, sportlicher Mann, der sich für Spiritualität interessiert, Nähen kann wie kaum ein anderer, auch ein selbst gekochtes Essen hinbekommt, genau wie Du gerne wandert, ein festes Gehalt als Ingenieur hat und wenn es denn sein müsste, direkt am nächsten Wochenende wieder hier aus dem Flieger purzeln würde. Jemand, der Dir geduldig zuhört und mit dem Du einfach eine schöne Zeit verbringen könntest. Aber die Illusion von Mr. Right ist Dir wichtiger als der reale Mann, der genau jetzt mit Dir redet. So geht Bindungsunfähigkeit, die man mit esoterischem Geschwurbel schön vor sich selbst versteckt.
Was diese Klangschalen-Kerstins machen, hat mit realer Spiritualität nichts zu tun. Dieses esoterischen Gemache bläst deren Ego auf Heißluftballongröße auf, anstatt die Beschränkungen eines krankhaft egozentrischen Egos zu überwinden. Die haben faktisch das Mindset der Grünenwähler, welche sich im Besitz einer überlegenen Erkenntnis wähnen und auf uns saufende und schmatzende Fleischfresser süßlich lächelnd mitleidig herabschauen. Mein Gott, wie selbstgerecht und herzlos kann man denn nur sein.
„Mann“ ist ja sowas gewohnt, und wie in so vielen Fälle, danke ich wem auch immer, in welcher Sphäre auch immer, dass ich letztlich doch Single bin. Da kann ich mein geiles Leben Vollgas leben, ohne Limits. So in Gedanken eile ich in die Herberge und hole mein Zeug aus der Koje. Die restliche Zeit überbrücke ich mit einem Blechbrötchen auf dem Sofa an der Rezeption und laufe dann zur Bushaltestelle.
Beim Warten auf den Bus quatscht mich noch eine Bordsteinschwalbe an, ob ich „Spaß“ haben will. Sicher will ich das, aber ohne dich! Dann kommt auch schon der Bus, der mich zum Flughafen bringt.
Am zeitigen Samstagmorgen lande ich wieder am BER, im frostigen Deutschland. Im Food Court stehen Einweckgläser mit Currywurst und ein Craftbier in der Dose wirbt mit einem Brandenburger Tor in Regenbogenfarben. Willkommen in Schland!
Da halte ich mich nicht weiter auf und fahre mit dem IC nach Hause. Was macht man mit so einem angefressenen Tag? Duschen, umziehen und ab in die Eishalle, zur Eisdisco. Wieder daheim ist auch schön und ich kann den Sonntag noch eine ruhige Kugel schieben, bevor sich das Hamsterrad wieder weiterdreht.
Das war die Geschichte meiner ersten Flugreise überhaupt, seitdem verfolgen mich die esoterischen Weiber (kann man das weg exorzieren?) und ich werde ganz bestimmt wieder dort wandern gehen mitten im Winter, die Berge haben es mir wahrlich angetan. Aber nicht nur die, eigentlich könnte ich sofort wieder losdüsen – ich habe einige tolle Spots mit feinsten polierten Steinplatten zum urbanen Inline-Skaten im GPS-Programm markiert, und ein richtiges Hockeyfeld entdeckt. Daneben gibt es ein Netz an Radspuren, dass Einheimische zum Skaten nutzen. Und ich muss wieder in die Pizzeria, wo die den Boden so genial dünn zaubern können!
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