Gastautor: Anonym

Vor einiger Zeit bin ich über Umwege auf den Volkstanz gekommen. Hier möchte ich kurz meine Erfahrungen teilen.

Was ist Volkstanz? Eine genaue Definition fällt schwer, weil der Begriff selbst erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkam und heutzutage auch höfische Tänze in Volkstanz-Gruppen getanzt werden. Unter dem Begriff kann sich jeder etwas vorstellen, wie Gemeinschaftstänze auf dem Lande, die aus Spaß getanzt wurden und auch der Kupplung dienten. [Gemeint ist hier nicht die Gangschaltung, sondern das Verkuppeln von Männlein und Weiblein. Anmerkung des Lektors ;-)]

Ausführliche Erklärungen zu den Ursprüngen und Entwicklungen in der Neuzeit kann unter dancilla nachgelesen werden. (Link siehe unten) Es gab seit der Nachkriegszeit in Europa, immer wieder Epochen in denen der Volkstanz populär wurde u.a. in den 70ern in Frankreich. Namen wie Balfolk etc. stammen aus dieser Zeit. Erspart mir bitte eine genaue Abgrenzung – mir geht es hierbei nicht um Definitionen, sondern um Lebensfreude und Gemeinschaft.

Meine erste Volkstanzveranstaltung ging über ein Wochenende mit gut 140 Tänzern. Viele kannten sich und tanzen schon lange, aber meine Amiga und ich waren Neulinge, was Volkstanz anging. Übrigens braucht man keine Partnerin mitzubringen. Auffordern wird erwartet und meist auch zugestimmt. Höflichkeit und Sitten sind gern gesehen. Man kleidet sich gern traditionell, locker. Die Damen gern geflochten und lange Röcke, die Herren von Zimmermannstracht bis zu Lederhose oder auch Anzughose und Hemd. Zu Beginn und am Ende einer Tanzveranstaltung werden gern ein paar Volkslieder angestimmt. Dabei wird mir auch bewusst, wie wenige Volkslieder ich kenne. Wer von euch kann "Wenn alle Brünnlein fließen" singen?

Jetzt gehts los! Es gibt immer einen Tanzleiter, der ansagt was getanzt wird und auch den Tanz anleitet (je nach Erfahrung der Tänzer). Es wird meist paarweise im Kreis getanzt, wobei die Frauen oftmals durchgereicht werden. Oft getanzt und mir im Kopf geblieben sind beispielsweise Fröhlicher Kreis, Schwarzerdner, Holsteiner Dreitour, Artländer Kontra. Polka- und Walzerschritte sind häufige Elemente in den Tänzen. An der richtigen Stelle wird geklatscht oder gestampft.

Das häufige Tauschen der Partner ist sehr interessant, da man so eine große Bandbreite an Tänzerinnen kennenlernt. Vom Alter her habe ich mit 10-Jährigen, wie mit 70-Jährigen getanzt. Manche sind sehr steif (die stärker beleibten) und manche sind voller Elan. Mit denen macht es am meisten Spaß: Augenkontakt, schwungvolle Drehungen und Lebensfreude. Die Herren müssen natürlich führen und das ist für mich auch etwas Herausforderung, da ich eher ein Sigma bin. Aber wenn ich einen Tanz beherrsche, bin ich eigentlich ganz gut – zumindest bekomme ich gelegentlich positive Rückmeldungen. Geführt wird, bei geschlossener Haltung, mit der rechten Hand auf dem Rücken der Dame.

Mir als steife Persönlichkeit mit gewissen autistischen Zügen kommt der Volkstanz sehr entgegen, da man nicht während des Tanzes überlegen muss, welche Figur ich nun tanze oder wohin ich mich bewegen soll. Das ist alles vorgegeben (Choreografie). Mit der Zeit wird das Taktgefühl auch ganz gut und man kann den Figurenwechsel auf den Taktwechsel gut hinbekommen und auch kleine Drehungen einbauen, die eigentlich nicht geplant sind. Vielleicht ist der Volkstanz der bessere Einstieg in den Paartanz. Standard- und Lateintanzkurse hab ich auch mal besucht, bin aber nie so wirklich da reingekommen. Wohl auch, weil ich nicht der Disko-Typ bin.

Kleine Anekdote: Unlängst war ich bei einem offenen Balfolk-Abend in der Nachbarstadt und da war eine offensichtlich LiGrü-Versiffte dabei, die aber nett anzusehen war und auch (wenn wir miteinander tanzten) angenehmen Augenkontakt hatten. Die Teilnehmer dort wurde auf unseren Tanzkreis hingewiesen und eingeladen. Sie kam beim nächsten Mal und hat nach dem Singen (u.a. "Die Gedanken sind frei") und dem Auftreten einiger Tänzer (Scheitel, Hosenträger, Schwarz-Rot-Gold-Anstecker) sich schon etwas zurückgezogen. Als dann noch beim Tanzen der Herrenkreis geklatscht hat:

"Eins-Zwo-Drei-Vier-Fünf-Sechs-Sieben,
wo ist meine Frau geblieben?
Gestern war so ja noch da,
heute ist sie weg – Hurra!"

ward sie nicht mehr gesehen. Wo wir gerade bei Frauen sind: Meist gibt es Frauen-Überschuss, jedoch sind die Damen im Schnitt um die 50. Bei größeren Tanzfesten sind aber auch einige "Jungfrauen" dabei.

Abschließend soll aber noch auf eine kleine Feinheit hingewiesen werden. Die DGV (Deutsche Gesellschaft für Volkstanz e.V.) ist ein Verein in Schland, der sich für die Pflege von Volkstänzen einsetzt und die Ausbildung von Tanzlehrern fördert. Dieser Verein ist politisch korrekt gleichgeschaltet, was man auf seiner Internetpräsenz leicht nachlesen kann (Link siehe unten). Wer deren politischen Standpunkte (Mainstream) nicht teilt, wird weggebissen. Ich tanze in einer Gruppe, die sich nach außen eher unauffällig verhält und in die man nur durch "Empfehlung" aufgenommen wird. Man braucht etwas Glück oder Beziehungen überhaupt so eine Gruppe zu finden. Ich bin noch nicht so lange in der Tanzszene, aber mir scheint, dass die Szene insbesondere im Osten wächst. Ich hoffe, dass der Volkstanz ein Teil der sich abzeichnenden kulturellen Veränderung (Erneuerung?) wird und zur Vernetzung und Identitätsbildung beiträgt. Ein lebendiges Stück Kultur in uns.

[1] https://www.dancilla.com/wiki/index.php?title=Kategorie:Volkstanz
[2] https://volkstanz.de/volkstanzwissen/hintergruendiges/der-begriff-volkstanz



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