• 16.11.2024

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Ein verlorener Kampf und ein gewonnenes Leben

op

» Artikel vom

Gastautor: vomKnechtzumHerrn

„WAS MACHEN SIE HIER?!“

Das war ganz schön laut, ich bin doch nicht schwerhörig, denke ich mir, ohne es zu sagen.

Genauso laut fährt er fort: „Was tun sie hier? Warum liegen Sie in diesem Bett? Was soll das?“

Ich denke: sachte, sachte, ich bin gerade erst aus dem künstlichen Koma aufgewacht, in das man mich für die OP gelegt hat, was fährt der mich so an? Ich bin gerade erst vor einer Stunde aufgewacht, was soll jetzt dieser Aufregung?

Doch der Arzt, der vor dem Krankenbett steht, in dem ich liege, schimpft weiter mit gleicher, viel zu lauter Stimme: „Sie sind dreißig! DREIßIG! Warum sind Sie hier!? In diesem Bett! Schauen Sie mal zur Seite, der neben Ihnen! Der ist 60, der hat Übergewicht! Der wird auch gleich noch eine Standpauke erhalten! Aber was tun Sie hier!?“

Jetzt frage ich mich, warum der Arzt über uns Patienten so wütend ist. Uns verdankt er doch seinen Job? Natürlich ist es nicht schön, dass ich hier wochenlang durch einen Krankenhausaufenthalt ausfalle. Aber das tue ich ja nicht freiwillig, hallo!? Auch mit Vollnarkose war das hier unangenehmem! Alles vor der OP war schmerzhaft (danach auch noch, ich werde einiges an Schmerzmitteln brauchen, was ich im Moment noch nicht weiß). Ich bin ja gar nicht gerne hier, ich hätte es gerne vermieden, warum schimpft der jetzt so mit mir? Natürlich belege ich OP-Kapazitäten. Aber als einer, der hier im Land alles zahlt, wochentags Überstunden und oftmals samstags nacharbeitet. Sonntags, wegen staatlicher Probleme, auch noch Schreibarbeiten machen muss, nicht weil ich das gerne tue, sondern weil ich einen Prozess am Hals habe, in dem sich keiner kümmert, weswegen die Arbeit bei mir hängen bleibt. Ich kann doch nichts dafür, dass es irgendwann Plumps gemacht hat und ich ins Krankenhaus geschafft wurde. Ich bin nicht freiwillig hin, ich wurde dahin gekarrt!

Der Arzt mit der kräftigen Stimme fährt unbeirrt der Umstände, in denen wir Patienten uns befinden, fort: „Seh’n Sie sich Ihren Bettnachbar an, der kann nicht mal sitzen, so sehr hat ihn die OP geschlaucht. Ja Sie! Gerade mal den Kopf drehen, mehr ist nicht drin!“ Mein Bettnachbar sagt nichts, gibt keine Geräusche von sich, außer ein Schnaufen, mit gelegentlichem Brummen, ist er still. Bin mir gerade nicht sicher, ob er überhaupt schon aufgewacht ist. Wieder zu mir gewandt, übertönt der Arzt alles mit seiner Schimpftirade: „Aber Sie! Sie sind jung, Sie sind schlank und rank! Sie könnten jetzt aufstehen und sofort losgehen, seien Sie froh! Sie gehören nicht hierher! Eigentlich müssten Sie mich gar nicht kennengelernt haben! Jetzt noch nicht! Ich frage sie nochmal: Warum sind Sie hier?!“

Eigentlich geht es mir gerade ganz gut, trotz OP, die wohl sehr schwierig war. Auch habe ich noch die Worte der Ärzte im Kopf, welchen kritischen Zustand ich hatte, als ich hier ankam, dennoch, tatsächlich habe ich die OP gut überstanden. Natürlich verspüre ich einen leichten Hunger, hatte vermutlich ein paar Tage nichts zu essen, abgesehen vom Elektrolyte-Schlauch. Aber ansonsten ist es geradezu mollig angenehm, in diesem Krankenhaus-Bett, in dem mich keiner stört, ich nichts machen muss, nicht mal die gelben und roten Briefe werden hierhin umgeleitet. Seit über einem Jahr hatte ich Darmprobleme, dann Schmerzen, dann immer mehr. Jetzt fühle ich mich eigentlich erstaunlich gesund an. Ich habe sogar schon wieder Tatendrang, was ich alles tun will!

Der Arzt kommt näher ans Bett. Mit dem Rücken zu mir zieht er umständlich einen Stuhl ans Bett ran. Setzt sich darauf, guckt mich jetzt nicht mehr böse an, sein Gesichtsausdruck wird geradezu freundlich. Mit besänftigter Stimme – richtig nett – fährt er jetzt ganz ruhig fort: „Im Ernst, Männer in Ihrem Alter habe ich eigentlich nie auf dem OP Tisch. Und selbst die, die ein bisschen älter sind als Sie, sind dann extrem übergewichtig und haben noch allerlei andere Probleme, was man denen auch äußerlich ansieht. Aber Sie sind gesund, Sie sind sportlich. Jemand wie Sie habe ich sonst nicht vor mir im OP-Saal. Etwas läuft in ihrem Leben ganz verkehrt. Es ist nicht die Ernährung, da brauchen sie keine Tipps, auch wenn es Ihnen auf den Darm geschlagen ist. Es ist etwas anderes, es könnte vieles sein, ich weiß das auch nicht. Niemand weiß das, außer Ihnen. Stress spielt dabei sicherlich eine große Rolle. Ja, ich denke, Sie haben Stress und bestimmt noch einiges mehr. Ich werde mich jetzt nicht hier hinsetzen und mit Ihnen zusammen ihr Leben analysieren. Aber ich kann Ihnen sagen, irgendetwas darin gewaltig falsch läuft. Richtig falsch. So falsch, dass es sich bereits auf ihren Körper auswirkt. Da gibt es keine Medikamente dagegen. Das will ich Ihnen mitgeben, überlegen Sie mal, was Sie an ihrem Leben ändern können. Da gibt es Dinge, die müssen Sie ändern! Sonst liegen Sie in weniger als zehn Jahren wieder hier, und dann immer öfter, und dann können Sie froh sein, wenn Sie noch den Fünfzigsten feiern können. Überlegen Sie mal, was es sein könnte, so geht es nicht weiter! Und wenn Sie zu dem Schluss kommen, dass Sie für eine Änderung Dinge aufgeben müssen, dann ist es so! Entweder das, oder Ihre Gesundheit. Also, ich will Sie hier nie wieder sehen! Ändern Sie was. Sie müssen etwas tun, überlegen Sie mal, was Sie in ihrem Leben ändern müssen. Müssen! Keine leichten Änderungen, keine kleinen Anpassungen. Ich wette, Sie finden da mehr als nur eins, was Ihnen Stress bereitet. Und dann passen Sie sich NICHT an, sondern krempeln Sie ihr Leben, ihren Alltag um, und denken Sie mehr an sich!“

Binnen einem Monat nach diesem Gespräch, habe ich die Prozesse um Umgang, Sorgerecht, Aufenthalt während der Ferien usw. um mein Kind „zu meinen Ungunsten“ abgebrochen. Ich habe es seit dem nie wieder gesehen, zu dem Zeitpunkt aber auch schon ein Jahr keinen Kontakt mehr haben dürfen. Also dadurch auch nichts verloren, was ich vorher hatte. Schulden, die habe ich als Faustpfand anhäufen lassen, konnte ich alle bezahlen (ich war ja Workaholic), lieber Ersparnisse auflösen als mein Leben. Ein Gespräch mit meinem Chef, dem musste ich zwar immer liefern, aber im Gegensatz zu meinem Heimatstaat war er nie gegen mich, gewährte Teilzeit, eingeleitet mit einem längeren Sabbatical. Ich liefere zwar noch, wo ich kann, aber leider kann ich nicht oft. Die meiste Zeit muss ich mich um mich selbst kümmern, da geht bedauerlicherweise nicht mehr viel nebenher, also hauptberuflich. Wer wenig hat, hat auch weniger Abhängigkeiten und darum mehr Freiheit.



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