• 15.03.2024

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Gastautor: Drecksköter

Es ist ein Gegenstand, den kaum ein Mann längere Zeit aus der Hand legen kann. Durchschnittlich 16 cm lang. Hart und rund. In Gummi gehüllt. Unwiderstehlich. Immer geladen. Warm. Und wenn er zuckt, greift jeder Mann sofort in seine Hose, … um sein Handy herauszuholen. (Woran habt ihr Schweine denn wieder gedacht?)

Kein Gegenstand im Leben eines Mannes wird öfters in die Hand genommen und gestreichelt. Nicht die Ehefrau, nicht das Auto, nicht der kleine Freund zwischen den Beinen. Nein, es ist das Handy.

Mit der Einführung des Smartphones ab 2007 (iPhone) hat das Handy in das Leben der Menschen der Neuzeit so tiefgreifend eingegriffen, wie kein Gegenstand zuvor. Selbst die Erfindung des TV kann da nicht mithalten. Zwar hat der Drang zum Fernseher das Freizeitverhalten vieler Menschen seit den 1950er Jahren massiv verändert (Nina Hagen „Ich glotz’ TV“), aber der ständige portable Internetzugang in Verbindung mit den unterschiedlichsten Apps macht das Handy zu einem Werkzeug, das bis in die elementarsten Seiten des menschlichen Daseins reicht.

Wer braucht das schmuddelige Pornokino um die Ecke mit den vollgewichsten Sitzen und dem klebrigen Fußboden oder die Porno-Ecke in der Videothek, wenn es YouPorn auf dem Handy gibt? Wer braucht Kontaktanzeigen in der Zeitung, wenn es Tinder, Ekelpartner und ähnliche Plattformen im Handyformat gibt? Das gedruckte Tittenheftchen im Bahnhofsbuchhandel ist längst ein völlig aus der Zeit gefallenes Relikt der Gutenberg-Galaxis und fristet in verstaubten Regalen ein trauriges Dasein, über das sich schon längst kein Mensch mehr aufregt.

Aber die ständige Online-Verfügbarkeit hat ihre Tücken. Sex hat durch das Internet einerseits sein "Geheimnis" noch weiter verloren, aber andererseits die Ansprüche ins Unendliche gehoben: Wenn man als Kerl – wie auf YouPorn und Co. ständig präsentiert – nicht einen Körper wie ein Adonis hat, eine 20 cm-Kanone (mindestens!) und einen Dauerständer, der mindestens dreimal wie ein junger Esel abspritzen kann, der muss ich schon als junger Mann als Versager fühlen. Gleiches gilt für junge Frauen, die sich ohne schlanken Alabasterkörper, ohne blonde Haare bis zum Arxxx, ohne große XXXL-Hupen und Lippen wie Schlauchboote irgendwie von der Natur benachteiligt vorkommen müssen. Dank YouTube wird der Otto-Normal-Sex plötzlich so schal …, es sei denn man ist als Mann ein grunzendes und röööhrendes Ryan-Steak-Shwine und fickt nach der Devise: „Für den Orgasmus der Frau bin ich nicht zuständig!“.

Aber das nur am Rande. Die dauernde Verfügbarkeit mag eine Seite sein. Genauso verheerend ist jedoch auch die Schlagzahl, mit der uns das Handy die Neuigkeiten dieser Welt um die Ohren haut.

Sex sells. Und schlechte Nachrichten mindestens genauso gut. Je mehr, desto besser! Mittlerweile ist die Informationsflut derartig hoch, dass junge Menschen chronisch erschöpft sind und deswegen nicht mehr Vollzeit arbeiten können oder wollen. (https://www.danisch.de/blog/2022/08/12/sie-sagen-sie-seien-erschoepft/)

Wann hat der Wahnsinn eigentlich begonnen?

An Katastrophen hat es, seit ich in den 1960er Jahren das Licht der Welt erblickt habe, nie gemangelt: Waldsterben, Tschernobyl, drohender Atomkrieg, einmarschierende Russen, Gift im Essen, saurer Regen … Wer kennt das nicht? Aber die Übertragung war damals halt vergleichsweise gemächlich. Hatten ab den 1920er Jahren ausgewählte, größere Tageszeitungen bereits eine Morgen- und eine Abendausgabe, so hat das TV ab den 1950er Jahren eigentlich nur die bewegten bunten Bilder dazu geliefert: Bilder aus dem Bundestag, Politiker schütteln sich die Hände, irgendwo ein Krieg, der Sport, das Wetter. Das war alles noch sehr harmlos und vor allen Dingen: meistens irgendwo anders. Am Arxxx der Welt. Deutschland ging es gut. TV-Kameras waren groß und unhandlich, und eine spontane Live-Berichterstattung in Echtzeit war so gut wie unmöglich.

Der 11. September 2001 als die Twin-Tower des World Trade Centers mit dem geringstmöglichen Kollateralschaden perfekt in sich zusammensackten – WTC 7 nicht vergessen ;-) – war im Wesentlichen noch ein TV-Ereignis, das die Menschen noch an die TV-Bildschirme bannte. Erst mit dem Smartphone nahm der schnell verfügbare Medien-Wahnsinn ab 2007 richtig Fahrt auf: Weltfinanzkrise, Subprime-Krise, Lehmann Brothers, Bankenrettungen, Euro-Rettung, Griechenland-Rettung, Fukushima, MeToo, Migration, LGBTTI*&%$§!, Klima … und das Handy immer mit dabei. Wo früher Pressefotografen und TV-Teams die einzigen Bildberichterstatter waren, konnten die technisch immer weiter verbesserten Handys diese Berufszweige in die Existenzkrise treiben.

Facebook, WhatsApp, Twitter erhöhten die Schlagzahl dann nochmals. Während die großen Wochenmagazine und Tageszeitungen anfangs auch im Internet noch die Platzhirsche waren, kann längst jeder Idiot, der sich berufen fühlt, seine Meinung in den Äther quaken. Und wird gehört. Was früher zu Gutenbergs Zeiten noch durch Lektoren mangels Qualität abgelehnt wurde, konnte jetzt ungehindert in die Öffentlichkeit dringen. Egal ob richtig oder falsch, irgendwer wird es schon hören. Und die Idioten bekamen Recht! Shitstorms gibt es erst, seit auch die Politik Twitter entdeckt hat und leider ernst nimmt.

Auch ich war von der portablen Klicki-bunti-online-news-Welt fasziniert. 2010 hatte ich mir endlich mein erstes Smartphone zugelegt. Ein HTC magic! Ein geiles Teil! Endlich das Internet für die Hosentasche. Endlich stets gut informiert. Am aktuellen Geschehen in Kunst, Kultur, Politik, Wirtschaft und Finanzen war ich schon immer interessiert. Aber bis 2010 spielte sich meine Info-Welt statisch am immobilen Internet-PC ab. SPON, ZEIT, FR, Welt, Wiwo online waren meine primären Informationsquellen. Goldseiten.de, hartgeld.com, PI und andere wild wuchernd böse unkorrekte Seiten kamen so nach und nach dazu. Aber das waren im Wesentlichen noch bebilderte Textseiten.

Mit sinkenden Preisen, steigendem Datenvolumen und 4G-Verbindung wurde jedoch mein Handy für mich endgültig zur Pralinenschachtel:

Verführerische süße "Info"-Häppchen, Infotainment, Videoclips mundgerecht angeboten in glitzernder Verpackung waren unwiderstehlich. News waren wie Nougatpralinen. Ich konnte nicht aufhören zu fressen: Eben einmal kurz nach den Aktienkursen schauen, wo steht der Bitcoin? Online-Banking, Aktienhandel per Handy! Was geht in der Welt ab? Was sagen Tichy, Broder, Martin S., Ken Jebsen, der Love-Priest, Marc Friedrich, Marc Faber, Florian Homm, Dr. Elsässer, Horst Lüning zu Finanzen, Wirtschaft, Politik? Immer Alarm! Immer der neueste Skandal, die neueste Katastrophenmeldung. „Ihr Vermögen ist in Gefahr! Handeln Sie!!!“, „Corona-Diktatur!“, „Der Russe kommt!“, „Schon wieder Messer-Morde!“, „Der Michel stirbt aus!“, „Die Zinsen steigen!“, „Blackout!“. Wahnsinn! Und ich per Handy mitten drin! Es war alarmierend, es war berauschend. Das "eben mal ins Internet" wurde zum massiven Zeitfresser. So wie früher dicke Bücher lesen? Das war längst Vergangenheit. Unbewegte Papierseiten mit reinem Text? Sich in den Stil eines Autors erst einlesen müssen? Langweilig.

Als ich dann in den stillen Monaten von Corona auch noch bei Twitter landete, nahm die bunte Handy-Welt endgültig suchtartige Züge an. Ich war zwar stets "am Puls der Zeit" und "wahnsinnig" gut informiert, aber gleichzeitig war ich in dieser Zeit auch von einer steten körperlichen und geistigen Unruhe getrieben, bis ich mich fragte, ob der Sinn des Lebens eigentlich wirklich darin besteht, jeden Tag stundenlang auf einen kleinen Bildschirm von 15,5 x 6 cm zu blicken?

Der Ausweg kam nahezu zufällig und zeitgleich mit Rolf Dobellis Buch "Die Kunst des digitalen Lebens. Wie Sie auf News verzichten und die Informationsflut meistern." Das schlug ein. Das saß.

Die eine und entscheidende Frage dieses Büchleins ist: „Ist das Neue wirklich das für Dich Relevante?“

Mit dieser Frage traf Dobelli bei mir den "Nagel auf den Kopf". Die glitzernde, bunte Info-Häppchen-Welt, das Geplärr der "Experten", das Dauergeschwätz der politischen "Aktivisten" zerplatzte wie eine Seifenblase. Natürlich leben wir in kritischen Zeiten. Aber was von diesen "News" ist in meinem eigenen Leben wirklich (!) derartig relevant, dass ich sie ständig, sofort und immer wieder in Echtzeit benötige? Eben. Eigentlich fast nichts.

Zur Heilung der "News"-Sucht schlägt Dobelli eine konsequente 30-tägige "News"-Diät vor, die er selbst ausprobiert hat. Sehr radikal. Ich probiere das gerade aus und folge der Diät in sanfter Form: Um 18 Uhr (und keine Minute eher) überfliege ich täglich Handelsblatt online, werfe einen Blick auf Aktien-, Gold- und Devisenkurse und lese die "Schlagzeilen" des online-Heimatteils meiner örtlichen Tageszeitung. Das dauert insgesamt 20 Minuten. Und es ist erstaunlich … es genügt völlig. Ich vermisse nichts. Sofort breitet sich Ruhe aus. Insbesondere das alarmistische YouTube-Geschwätz, in denen sich die "Experten" und "Aktivisten" reihum gegenseitig einen runterholen, kann man sich getrost ersparen. Sie kochen alle nur mit Wasser. Sie haben alle keine Kristallkugel, und sie wollen letztlich alle nur ihre Börsenbriefe, ihre Coachings, ihre Ideen, was auch immer, verkaufen. Das ist verführerisch, aber man verpasst nichts.

Denn: Ist es wirklich für einen selbst relevant?

Mein Leben ist jetzt erheblich ruhiger geworden. Ich habe wieder mehr Zeit. Es ist erholsam. Und der Kopf ist wieder frei für die schönen Dinge des Lebens.

Drecksköter empfiehlt als Anregung seine Neuentdeckung auf YT: die Sinfonien von Emilie Mayer.



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