• 19.06.2024

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Meine erste Million

million

» Artikel vom

Gastautor: W.H. Gäiz

Meine erste Million habe ich durch ehrliche Arbeit erworben. So viel zu: Arbeiten macht nicht reich. Aber wie fing das alles an? Eine frühe Erinnerung ist, daß ich mit einem Körbchen Eier zu den Nachbarn brachte. Meine Familie war nämlich vom Dorf. Selbst wohnten wir zwar schon in der Stadt, aber das Dorf war nah. Wir waren eine sehr arme Familie: der Vater ein Waisenkind nach dem großen Krieg, weil sein Vater, mein Opi, in Polen erschossen wurde, und seine Mami hat ihn dann ausgesetzt, weil sie ihn damals ja nicht umbringen durfte: Abtreibung war noch nicht legal. Und mütterlicherseits war da auch kein Reichtum, weil mein anderer Opi, der den Krieg überlebt hat, meine Mami rausgeschmissen hat, weil sie diesen armen Luuser (Kompromiß: mit Doppel-U), der mein Vater wurde, ehelichen wollte. Also waren wir sehr arm, ärmer zumindest als die Afrikaner, die ja meist keinen Krieg verloren haben, oder die Ukrainer, die den Krieg ja sogar noch gewinnen können. Vielleicht. Früher oder später. Zumindest müssen die nicht die Schuhe vom Cousin und die Hosen und die Hemden von älteren Brüdern auftragen, die kriegen topmodische Sachen von der Caritas geschenkt. Aber was hat es jetzt mit diesem Körbchen auf sich?

Nun, ich, das süßeste aller süßen Kinder, war Teil des Business-Modells „echte Landeier“ und brachte diese zu Nachbarn, die schon länger in der Stadt wohnten, über etwas Reichtum verfügten und wie viele Stadtbewohner fixe romantische Träume von freilebenden Landhühnern im Kopf hatten und dafür gut zahlten. Und nein, ich war zwar süß, aber keineswegs fehlerfrei. Ich erinnere mich auch noch, wie ich im Winter mal hinfiel und zerbrochene Eier austrug, was Schimpfe brachte. Allerdings war das gar nichts im Vergleich zu dem Skandal, als rauskam, daß mein Onkel, der Eierproduzent, aufgrund der guten Nachfrage (er hatte übrigens auch süße Kinder) ein richtiges Hühner-KZ an den Freilaufstall angebaut hatte, um im kapitalistischen Westen die gestiegene Marktnachfrage zu bedienen. Nun ja, der Skandal verzog sich dann auch wieder, nach Verlust mancher Kunden und nach „Preisanpassung an das Marktgeschehen“. Immerhin bekamen wir ganz viele Eier umsonst als Lohn für meine Mühe. Gut, das war möglicherweise meine erste Lohnarbeit, auch wenn der Lohn in Form von Naturalien an die ganze Familie floß. Ich wurde übrigens auch für Feldarbeiten ausgeliehen, bei denen geringe Körpergröße vorteilhaft ist, so was wie Kartoffelkäfer aufsammeln von in endlos langen Reihen gepflanzten Kartoffeln oder Gurken ernten. Gurken sind scheiße, weil die so klitzekleine Stachelchen haben, die sich dann in klitzekleine Kinderhände bohren. Denkt daran, wenn ihr wieder mal Gurken kauft, das ist Kinderfolter, möglicherweise (Lieferkettengesetz und so). Viel verdient habe ich da auch nicht – weil, was will ich denn mit Gurken? Ich war ja keine alleinstehende Frau, und so viele Gurken wollten meine Kaninchen auch wieder nicht - die übrigens zum großen Teil hinterhältig von meiner Familie verspeist wurden. Immerhin bin ich mit 9 oder 10 das erste Mal einen Traktor gefahren, auf einem Kartoffelacker, das hatte was, so eine Zugmaschine ist ziemlich groß. Richtiges Geld floß dabei auch nicht, aber immerhin hatte die ganze Familie durch den ortsüblichen Kinderverleih in die landwirtschaftliche Sklaverei eine gute, vitaminreiche Ernährung mit frischen, lokal angebauten Gemüse- und Obstsorten. Steuerfrei.

Richtiges Geld verdiente ich auf andere Weise: Schon früh zum Volksliedersingen gezwungen (ja, so war das damals), wandte ich mich der ZDF-Hitparade zu und kopierte die erfolgreichsten Hits. Bei den relativ zahlreichen Familienfeiern (katholisch) machten sich die Verwandten einen Spaß daraus, mich singen zu lassen. Mochte ich aber nicht. Da wurde mir das erste Mal – ich war etwa fünf Jahre alt – eine echte, silbern glänzende Mark dafür angeboten, daß ich auf den Tisch steige und singe. Na klar, habe ich das gemacht. Und zwar immer, wenn mir dafür eine Mark angeboten wurde. Meine beliebtesten Songs waren "Mendocino", "Wähle 3x3", "Pretty Belinda", "Ein Student aus Upsala" und andere aus der Hitparade bekannte Hits. Da war was los! Groupies hatte ich auch, meine Tanten, und die wollten mich immer küssen, aber hoppla, da wollte ich auch eine Mark für, das war zwar etwas unangenehm, insbesondere die doofen Zungenküsse, aber was tut Bengelchen nicht alles für Geld. Das ich dann sinnvollerweise in Kaugummis aus dem Kaugummiautomaten angelegt habe. Ob das die berühmt-berüchtigte Kinderprostitution war? Ich blieb jedenfalls straffrei, denn ich war ja Selbstausbeuter und sowieso noch nicht strafmündig. Auch für andere Tätigkeiten war ich durchaus bestechlich, zum Beispiel für „das erste Mal vom Fünfmeterturm springen“ – dafür erhielt ich dreimal ein Eis und zweimal eine Mark – oder freihändig auf dem Fahrrad den Berg runterfahren (aua!). Ein netter Mann gab mir zum Trost 10 Pfennig, dafür konnte ich mir wieder einen Kaugummi leisten.

Etwas mehr Knete gab’s dann so mit 12. Das Rote Kreuz zahlte pro Zettelchen („Samstag Altkleidersammlung“) einen Pfennig, und die Dörfer, da wollte immer niemand verteilen, weite Wege und Hunde an kurzer Leine, das machte ich dann mit dem Fahrrad. Für 800 solcher Zettel gab’s also acht Mark. Mehr waren an einem Nachmittag nicht zu schaffen, auch nicht zu zweit. Wesentlich bessere Einkünfte erlaubte das Ausfahren von Telegrammen, denn da gab es für EIN Telegramm bereits eine Mark zwanzig. Vor der Schule, nach der Schule, wochenweise, in guten Wochen kamen 80 Mark zusammen, in schlechten etwa 50. Meine Eltern sparten sich derweil mein Taschengeld, also, ich bekam zwei Mark pro Monat. Pro Monat!!! Und so arbeitete ich regelmäßig in den Schulferien in der Fabrik, Drei-Schichten-Betrieb, Metall-, Holz- oder Papierindustrie. Ziemlich harte Jobs, aber das Geld mußte ja für die lange schulferienfreie Zeit ausreichen. Immerhin, das muß ich meinem Vater hoch anrechnen, hat er mir ein Studium mitfinanziert. „Mit“, weil ich ja auch Bafög bekam. Um das Geld dann gleich nach dem Studium zurückzahlen zu können, nahm ich Gelegenheitsjobs nebenher an. So was wie Leiter vom Dachdecker halten, Aushilfsbriefträger (gut bezahlt!), Bademeister (miserabel bezahlt), Musik (unterirdisch bezahlt, aber Spaß und Frauen) und, der Beginn meiner Kometenkariere, Teller- und Kolbenwäscher im Chemielabor. Chemie mochte ich zwar nicht, fand ich Pipi, viel lieber Physik und Mathematik, aber die Chemiker brauchten ja nun mal dringend jemanden, der ihnen die Mathe und die Statistik machte und ihnen Programme schrieb. Das war damals ganz neu, es gab im Land bereits zwei Rechner. Ja, genau, zwei. Und auf einen der beiden hatte ich über Telefonfernleitung Zugriff. Der hatte sogar schon „Terminal“ statt Lochkartenleser, das war ganz toll. Wenn man auf eine Taste gedrückt hatte, passierte erst mal nichts, und dann erschien nach etlichen Sekunden genau dieses Zeichen (kein Zufall, Können!) in Fluoreszenz-Leuchtgrün auf dem Bildschirm. Das war der totale Fortschritt. Außerdem verstand das Ding die beste und einzige Computersprache, die aus der Vorkriegszeit stammt (Vietnamkrieg) und noch heute verstanden wird, nämlich Fortran. Ich brauche den alten Informatikern im MM ja nicht zu erklären, was für eine tolle Sprache das war, im Vergleich zu so veralteten und umständlichen Sprachen wie Algol, Cobol, Pascal, Java oder C. Fragt mal den Danisch dazu! Obwohl, der liest ja sowieso hier mit, gell? Hallo Hadmudd! Und damit bin ich dann reich geworden. Also, nicht mit Fortran-Programmen für Chemiker und auch nicht für BWLer, sondern mit Mathe und weil ich diesen Chemieprofessor aus Amerika am Kopierautomaten getroffen habe und ihm beim Kopieren half, und der dann... aber, Leute, Leser, Männer, die Geschichte hat jetzt schon mehr als tausend Worte, das bringe ich da jetzt nicht mehr unter, ihr könnt es euch doch bestimmt auch so denken wie’s weitergeht, gell?

Jedenfalls habe ich neulich mit einem jungen, gut angezogenem Mann gesprochen, der war schon fast mit dem Studium fertig, doch der hatte in seinem Leben noch nie (!) eine einzige müde Mark und auch keinen Euro selber verdient, sagte er. Mit fast 25! Da war ich völlig baff. Aber das ist wohl völlig normal so, heute in Deutschland. Und jetzt ist schon die zweite Seite voll und Schluß!


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