Ein Garten für ein bisschen Glück
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Gastautor: ibamvidivici
Über 50 Lebensjahre sind vorbei, die Kinder bereits ausser Haus, das Eheweib zu runzelig für ausgiebige Restaurant-Tournee: Ein Mann über 50 hat den Vorteil, dass er nun endlich über sein Einkommen verfügen kann. Auf der Ausgabenseite ist das zwar nicht so wichtig, da die kleinen Wünsche eh bezahlbar sind, aber auf der Einnahmenseite ist dies relevant, da jetzt beruflich kürzergetreten werden kann und damit etwas Zeit für einen selbst rausspringt. Was macht man mit der gewonnenen Freizeit, was fehlt einem noch zum Glück? Ein Glück, das auch erreicht werden kann, natürlich. Vielleicht ein zusätzliches Abendstudium? Aber wofür? Karriere oder beruflicher Neubeginn, mit über 50? Ach nee.
Wie wärs mit einem Garten!
Wer sein Leben lang in der Mietskaserne leben musste, für den wäre doch ein eigenes Stück Land, dass man sich selbst gestalten kann, und das einen in Krisenzeiten vielleicht ein bisschen versorgt, oder zumindest Tauschgüter bereitstellt, doch ein schon als Kind gehegter Lebenstraum! Und da es für ein Eigenheim oder Gutshof mit genügend Land nicht ausreicht, dann eben ein kleiner Garten? Den kann sich doch jeder leisten. Und wäre das nicht was Tolles, wenn man mit den Enkeln dann dort die Sonntage verbringen könnte? Würden die Kinder und Enkel nicht viel öfters vorbeischauen, wenn man sich nicht in der beengten dunklen Wohnung träfe, sondern jederzeit in einem schönen gepflegten Garten verabreden könnte? Und Unterstützung wäre sicherlich auch da, denn natürlich werden die Kinder mit Familie gerne zur Ernte vorbeischauen, wenn sie doch dafür kostenlos bestes und ungespritztes Obst und Gemüse mit nach Hause nehmen können! Ja, das ist es, ein Garten muss her! Eine alte Gartensiedlung befindet sich in dieser noch älteren Stadt, was den Vorteil hat, dass diese nicht weit vom Stadtkern entfernt liegt, also auch noch zu Fuss zu erreichen, wie praktisch! Wegen der Lage und weil es hier die einzige ist, ist diese Gartensiedlung sehr beliebt, so hätte man gleich etwas, dass man seinen Kindern weitergeben könnte, die Arbeit im Garten wäre also nicht umsonst, man hinterlässt was. Doch halt! Doch nicht, denn den Garten gibt es nur gepachtet. Na ja, das ist zwar schade, aber am Ende steht die Entscheidung, dieser Garten wird es sein!
Trotz Pacht muss der Garten „gekauft“ werden, aber diese Einmalzahlung ist geringer als ein Kleinwagen, und immerhin gibt es damit eine Einstiegshürde, das hält auf den Nachbarparzellen wenigstens die Leute fern, die sich eher für AMGs oder Klingenstahl interessieren.
Gartenarbeit ist eine Freude! Ach, wenn der Rücken doch dabei nicht so schmerzen würde. Und dazu kommt, dass wenn man das Gärtnern so nebenbei betreibt, die Hände sich nicht daran gewöhnen wollen und man jedes Mal wieder mit Blassen nach Hause kommt. Überhaupt ist der Anbau als Nebentätigkeit – auf kleinen Flächen und kaum maschinell – nicht lukrativ. Mit übers Jahr mehreren Stunden Arbeit hat man am Ende Obst oder Gemüse, dass es im Supermarkt zu je 3 € gibt, also ein Bruchteil des Stundensatzes, den man fürs Hecke schneiden bei anderen bekommt. Überhaupt kostet ein schön hergerichteter Garten als Hobbygärtner ein gewisses Budget: da müssen die passenden Randsteine beschafft werden, frische Erde, auch das Baumaterial für die Hochbeete. Jemand aus der Landwirtschaft macht das aus Restbeständen oder zieht sich seine Erde selber, als Hobbygärtner ist man auf Bau- oder Gartenmärkte angewiesen. Die (vielen) Gartengeräte und (wenigen) Maschinen müssen extra angeschafft werden. Mangels Erfahrung in der Familie muss man jede Menge Zeit in Bücher und Pflanzenkunde investieren, also in seiner Freizeit. Ein Bauer bekommt dieses Wissen von seinen Eltern oder in seinem Beruf zwangsläufig mit. Und der Bauer verfügt über einen Pickup oder hat den passenden Anhänger, um schmutziges Material zu transportieren. Als Hobbygärtner muss dafür der eigenen gut gepflegte PKW herhalten, der davon unansehnliche Gebrauchsspuren bekommt. Kurz: wenn man es nicht als Beruf, sondern als Hobby betreibt, dann ist es eben ein Hobby, dass wie jedes Hobby mehr kostet und mehr Zeit verschlingt, als man davon zurückkommt. Das ist mit Segelfliegerei oder Modellbau nicht anders. Nur, wer eben denkt, ein Garten ist mit ein bisschen Pflege erledigt, und beliefert einen dann mit seinem täglichen Gemüsebedarf, der irrt.
Hinzu kommt, dass Natur gnadenlos ist, bei der Rückeroberung des Raumes und man auf jede Nachlässigkeit alsbald mit dem Ergebnis beglückt wird: Die herabgefallenen Pflaumen nicht weggeräumt, sondern in der Sonne liegen gelassen? Alsbald werden haufenweise Insekten und Stechfliegzeug im Garten auftauchen. Eine Wurzel nicht herausgelesen, sondern einfach mit umgegraben? Bald wird das Unkraut die Nährstoffe des Bodens für sich beanspruchen. Das über Stunden hergerichtete Blumenbeet mal zwei Wochen nicht gepflegt? Ja, von Weiten sieht es noch schön aus, aber steht man davor, erkennt man die Nachlässigkeit des Gärtners sofort.
Und dann ist so ein Garten eben anfällig für seine Umgebung. Bei einer schon sehr alten Gartensiedlung, die also meist innerhalb der Stadtgrenzen und Mietskasernen wie eine Oase liegt, wäre das: die Exkremente der Haustierbesitzer, dessen Tiere es trotz Zaun und bis zum Boden reichenden Torgitter jedes Mal aufs Grundstück schaffen. Und ihr Geschäft mittendrin auf dem schönen Rasen, oder schlimmer direkt neben den angepflanzten Salat oder Tomaten verrichten. Es folgt der ganze Müll, hauptsächlich Plastikverpackungen, die der Wind von den umliegenden Wohngebieten hereinweht. Letztendlich erhält man ein Stück Land für einen Fremden, von dem man es gepachtet hat, intakt. Dieser freut sich natürlich, dass ihm sein Stück Land nicht nur kostenlos, sondern auch noch für Zahlungen an ihn, vor der Besetzung durch die Natur und ihrer Moose und Wucherpflanzen bewahrt wird.
Zum Vergraben des Diamantwegschatzes aus dem Toilettenknie oder der unregistrierten Waffensammlung ist die Gartensiedlung damit mangels Eigentumsrechte und auch wegen der zu nahen und stets neugierigen Nachbarn sowieso nicht geeignet.
Dass das Eheweib sich einbringen würde, sollte man gar nicht erst einplanen. Im Gegenteil, je mehr ihr Mann im Garten ist, desto weniger Zeit verbringt er zu Hause bei der Putz- und Hausarbeit. Das Eheweib muss dann für ihn einspringen, was ihr gar nicht passt. Und wenn sie erst sieht, wie im Baumarkt die Fuffis über die Theke wandern, für – aus ihrer Sicht – Dreck, Sand und Steine! Sie wird es wie jedes seiner Hobbys auf ewig torpedieren.
Aber da wäre ja noch der Traum eines jeden Mannes im Alter: mit seinem Enkel auf der verwitterten Gartenbank sitzen, um bei den ersten Schritten durch das selbst geschnittene Gras zu beobachten, mit ihm die Blumenzwiebeln setzen oder die ersten Erdbeeren pflücken! Oder mit dem Enkelkind die Äpfel oder die Walnüsse des eigenen Gartens zu einem Kuchen verarbeiten. Ausserdem, wenn man erst einen Garten hätte, kommt der Sohnemann mit seinen Kindern doch sicher auch öfters vorbei, oder? Nun ja, wie mir ein Kollege mal antwortete, als ich ihm sagte, dass er Glück habe, weil seine Eltern nur eine Stadt weiter wohnen und er sein Kind sicher öfters mal bei ihnen abgibt: mit Kind anziehen und allem braucht er eine Stunde zu seinen Eltern, für Hin- und Rückfahrt und später nochmal zum Abholen also 4 Stunden. Wenn sein Kind bei ihm bleibt, ist er zwar nur halb so schnell bei seinen Arbeiten, aber er spart sich die 4 Stunden Fahrzeit und dazu den Sprit. Genauso verhält es sich dann, wenn es darum geht, bei der Ernte zu helfen und im Gegenzug dafür etwas Obst und Gemüse mitzunehmen. Der Sohn wird das durchkalkulieren und feststellen, dass die Fahrtkosten doppelt so hoch sind wie die Ersparnis, die er davon beim nächsten Einkauf hat.
So ist das nun mal, wenn das Land in eine Situation gebracht wird, in der man immer mehr leisten muss, für immer weniger Gegenleistung. Der Besuch bei den Grosseltern muss dann einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterzogen werden, weil die Portokasse für solche Alltagsbeschäftigungen schon lange nicht mehr gefüllt wurde und die Frau des Sohnes auch schon selbst ganztags arbeiten geht und somit als Chauffeur für die Enkel wegfällt.
Wer also mit dem Gedanken spielt, als Städter einen Garten als Ausgleich und für schlechte Zeiten zu bewirtschaften, sollte sich das genau überlegen, ob er sich die Arbeit zusätzlich zu seinem eigentlichen Beruf aufhalsen will. Es wird darauf hingewiesen, dass der Autor selbst keinen Garten besitzt und dieser Text aus Erzählungen anderer entstanden ist, als der Autor in Lockdown-Jahren erwog, sich einen Garten zuzulegen.
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