• 16.11.2024

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Das Leben eines Krankenbruders

pflegen

» Artikel vom

Gastautor: Marone

Es ergab sich aus wohl reiner Naivität und Idealismus, dass ich nach meiner Matura den Beruf des Pflegers gewählt hatte. Im Glauben daran einen seriösen und sinnvollen Job, im Sinne einer Dienstleistung, zu tätigen, begann ich mit der Ausbildung und wusste nicht, was da kommen würde. Notaufnahme, Intensivstation, warum nicht, dachte ich. Zum damaligen Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, warum das ein Frauenberuf sein soll, geschweige denn, dass mir klar war, was in den nächsten Jahren zur echten Belastung werden würde und welchen Themen ich begegnen sollte. Vorweg, es waren weder die Patienten, die Tätigkeit an sich noch die kaputten Kaffeemaschinen. Es waren die Kolleginnen. Als Pfleger kann ich rückblickend sagen, dass die meisten Burnouts und Depressionen nicht den Umständen, sondern den Kolleginnen geschuldet sind. Ein späteres Studium in diesem Bereich verschlimmerte meine Sicht auf diesen Beruf zunehmend, als dass es mich irgendwie beruhigte. Ich erlebte Krankenschwestern, Frauen in Führungspositionen, Professorinnen und Männer, die sich anbiedern. Die Realität tut schon weh und einen wahren Pfleger kann man nicht verarschen. Die zwei Lebensfragen eines Pflegers lauten daher immer: Warum möchte ich Gleichberechtigung leben, kann es aber nicht? Und: Warum unterstützen Männer mit gestrigen Einstellungen dieses Verhalten?

So viel sei schon mal gesagt, das gleiche Gehalt ändert rein gar nichts und die Logik des Versorgers ist die größte männliche Selbstverarsche des Lebens. Wie ein Mann sich in solche Abhängigkeiten freiwillig begeben kann, erschließt sich für einen wahren Pfleger nicht. Es muss wohl am Ende immer die Biologie sein (die übrigens Fakt und keine Theorie ist).
Da es natürlich nicht „die eine Frau“ gibt, basieren die Schilderungen auf einem subjektiven Eindruck, der aber das grundlegende Problem in den Emanzipation- und Genderdebatten widerspiegelt. Man hat den Eindruck, dass der Mensch in seinen Fiktionen, wie das von Geld und Recht und den unzähligen Theorien an seine Grenzen stößt. Als wahrer Pfleger ist man immer für Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit aller Menschen.

In der Ausbildung waren Anatomie, Krankheitslehre und Pharmakologie interessante Inhalte. Leider gab es wöchentlich erstmal den alltäglichen Problemen zu begegnen und Lebensfragen zu beantworten: Warum ist Marta besser als ich? Wann kommt Dr. Alex zum Unterrichten vorbei? Ist Tobi aus dem Nachbarkurs eigentlich ein warmer Bruder? (Ja, diese Klischees gibt es und am meisten kommen solche von Frauen). Warum hat Claudia immer so einen schönen Po? Wie kann es sein, dass Kerstin so einen tollen Freund hat? Schon hier war mir klar, normal gibt es nicht mehr. Die Lehrenden gaben sich wirklich Mühe und verteilten großzügig Einsen, um den unsäglichen Beschwerden und Diskussionen zu entgehen. Traut sich halt wohl keiner zu sagen, dass die meisten alles wollen, nur nicht arbeiten und schon gar nicht für den eigenen Lebensunterhalt. Ein Trottel findet sich ja immer und sei es nur als Spielgefährte. Die Lehrenden vergaßen wohl, dass diese dann später echte Menschen betreuen sollten. Und wenn das Mäuschen eben, trotz Einser, von nichts eine Ahnung hat, passieren eben Fehler oder man schiebt die Verantwortung einfach ab, indem man sich auf das Waschen und Essen geben reduziert. Echte Hausfrauenarbeit halt. Wie oft hatte die engagierte Lehrerin auf die Geschichte hingewiesen und betont, dass sich etwas zu Recht ändern sollte. Wie die Kreditkarte des Spenders ging das einmal rein und dann wieder raus, gleich kommt ja Dr. Alex. Großartig anzusehen, wie alle nervös auf dem Stuhl hin und her rutschten und wenn er sich dann auf einen Tisch setzte, die Röte ins Gesicht stieg. Sein belustigender Blick zu uns Pflegern sagte alles und wir amüsierten uns immer köstlich über dieses Schauspiel. Das Gegacker am Ende des Unterrichtes erspare ich an dieser Stelle lieber. Auf jeden Fall wurde Nadine aus der Gruppe ausgegrenzt, da er zu oft auf ihrem Tisch saß. Man muss sagen, sie war schon eine echte Schnitte. Dr. Alex hat das Spiel grundlegend verstanden und dafür bekommt er immer Respekt von wahren Pflegern.

Gebetsmühlenartig wurde von Lehrern gesagt, sich doch bitte zu organisieren, um etwas wirklich grundlegend zu ändern (seit Jahrzehnten ist dieser Bereich weder in einer Gewerkschaft organisiert, noch geht man zahlenmäßig groß auf die Straße). Fast schon der blanke Hohn, dass ein Mann versucht, Frauen zum Organisieren zu bewegen.
Blutwerte analysieren, Mobilisieren, Prophylaxen, Wunden versorgen und eine sinnvolle Entlassung planen? Was ist das? Soll das doch der schöne Dr. Markus machen, der hat ja schließlich sechs Jahre dafür studiert und spendet mir im besten Falle seinen Samen und ich kann endlich Zuhause bleiben und den Eltern stolz meinen Markus präsentieren. Dass ein Studium auch nur eine Lehre ist und weder Intellekt noch Allwissen schafft, scheint bei den meisten nicht angekommen zu sein. Studium bedeutet Geld und folglich Versorgung, so und nicht anders ist es. Wahre Pfleger kann man nicht verarschen. Als ich dann das erste Mal auf einer Station war, wurde mir klar, das wird kein Beruf, sondern ein psychologisches Drama werden. Sandra, ständig schlecht gelaunt und nur durch einen Oberarzt zu beruhigen, terrorisierte mit ihrem Verhalten die ganze Station. Das reichte vom Befehl morgens das Licht auszulassen, da sie ja immer Kopfschmerzen hat, bis hin zu üblen Lästereien, Missgunst und ausleben von Neurosen (Dass das Mobbingrisiko in diesem Beruf sehr hoch ist, dürfte auf der Hand liegen. Wissenschaftler versuchen bis heute den Grund dafür zu ermitteln). Wo war an dieser Stelle eine Führungskraft? Wo die Kolleginnen, die einschreiten? Ich vergaß, die anderen waren ja nicht besser und ich lernte so immer weiter dazu.

Hart gearbeitet wurde selten und wenn, dann waren ein paar Pfleger vor Ort, oder ein Oberarzt machte eine deutliche Ansage (zur Erinnerung: Die Pflege möchte ein eigenständiger Beruf sein. Jeder Pfleger, die wahren Feministen, werden hier nur lachen können). Nach außen hin wurde natürlich immer verdeutlicht, dass man viel zu viel zu tun hätte, während man sich eine Rippe Schokolade reinschob und Kaffee trank (die ganz großen Aktivistinnen posten dann auf Instagram oder schreiben etwas, anstatt einfach mal zu tun. Das ist auch so ein Fremdwort in diesem Bereich). Mann muss schon abstumpfen und sich damit abfinden, wenn man diesen Beruf ausübt. Arbeiten? Das sollen doch lieber die männlichen Netten tun, die wohl auf Erniedrigung und Buckeln stehen, in der Hoffnung mal eine abzubekommen. Anders kann man sich solch Verhalten von manchem Mann in diesem Bereich rational nicht mehr erklären. Zum Glück fällt der wahre Pfleger höchstens einmal darauf rein. Man muss sagen, es ist schon schwer, jeden Tag von Hormonen umgeben, Tangas, die
durch das weiße Gewand scheinen, engen Klamotten und betonten Ausschnitten und zufälligem Bücken, noch bei Sinnen zu bleiben. Jeder Pfleger, der als einziger Mann mal auf einer Station war, weiß ganz genau, was passieren wird. Arbeiten zumindest als Letztes. Man kann nur froh sein, wenn heute ein Single-Arzt da ist, er wird das noch nicht ganz durchschauen und sich geehrt fühlen. Danke für meine Ruhe an diesem Tag und den Beweis, dass ein Studium nichts mit Intellekt zu tun hat.

In Zeiten der Gleichberechtigung muss der arme Thomas immer noch die schwersten Patienten heben. Es ist ja nicht so, als gäbe es unzählige Schulungen und Maßnahmen zum rückenschonenden Arbeiten. Null Problem 100 kg ohne große Anstrengung aus dem Bett zu holen. Da hat die Tina wohl wieder andere Fantasien gehabt, als die der Arbeit. Es gibt ja noch Thomas, der treudoof alles mitmacht. Tina kann währenddessen ein neues Opfer suchen und neue Pläne für eine Intrige schmieden. Der beste Moment im Leben eines Pflegers ist dann, wenn die Hochzeit ansteht oder sich ein männliches Opfer gefunden hat. Endlich ein paar Wochen Ruhe, endlich einfach nur arbeiten. Es lässt sich natürlich nicht verleugnen, dass es auch Gefechte zwischen Pflegern gibt. Sie enden aber im schlimmsten Falle beim sachlichen und respektvollen Umgang und nicht in monatelangen Konflikten mit hohen Fluktuationen. Die wenigen Ausnahmen, die das nicht machen, werden nie wahre Pfleger sein und sind, wie auch in anderen Berufen, nicht ernst zu nehmen. In den nächsten Jahren sollten unzählige Vorkommnisse geschehen und der wahre Pfleger lernte und durchschaute die Regelmäßigkeit der immer gleichen Abläufe und Handlungen in einem sogenannten Frauenberuf und warum sich deshalb nie etwas ändern wird …



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