• 16.11.2024

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Episoden einer Kindheit I

pruegel

» Artikel vom

Gastautor: A.M.

So langsam bahnt sich die Aussenwelt einen Weg in mein erwachendes Bewusstsein. Mein „Videorecorder“ beginnt ab nun zu laufen.
Ich schätze, ich war so gegen 2 Jahre alt. Sprechen ging noch nicht so richtig. Ich stand am Gitter in einem Laufstall (Kinderkäfig für die Wohnung). Ich war im Dunkeln, ich schrie, ich hatte Angst. Plötzlich öffnet sich eine Tür, das Licht blendete mich. Ich freute mich, dass ich erhört wurde, dass jemand kommt mir zu helfen. Mich packte eine Hand am Kopf und schubste mich zurück in den Käfig, schimpfte, ging und schloss die Tür.

(CUT)

Mitten in der Nacht, ich war in einer fremden Umgebung, mit sehr vielen Menschen, zu vielen, ich kam kaum durch die Menge an Beinen durch, suchte meine Mutter, fand sie aber nicht und als ich sie fand, schickte sie mich los mich meine beiden Schwestern zu suchen und auf sie aufzupassen.
Es herrschte viel Lärm, Zigarettenrauch und ständig rempelten Menschen aneinander, es ging zu wie in einem Ameisenhaufen. Seltsamerweise waren auf einmal einige auffallend nett zu mir, obwohl die mich sonst nur ärgerten (jetzt nennt man das Mobbing), sie schubsten mich, wenn keiner hinsah, sie beschuldigten mich Dinge geklaut oder gegessen zu haben, drängelten sich vor mich, prügelten mich im Vorbeigehen usw. Und nun sind dieselben Leute nett zu mir? Da ist doch was faul.
Nachdem ich mich durch das Gedränge gewühlt hatte, habe ich meine Schwestern gefunden, sie spielten mit anderen Kindern fröhlich in einem Zimmer. Freudestrahlend bin ich auf die spielenden Kinder zu und musste feststellen, dass „die Chefin“ (ca. 10-12) in dem Haufen, wie auf Befehl, alle gegen mich aufbrachte und mich aus dem Zimmer jagte „weil sie mich nicht hier haben wollte“.
Also ging ich tief verletzt zurück und suchte Trost und meine Mutter. Ich fand sie auch und dann sah ich die Panik in ihren Augen. Mir wurde schlecht und ich fühlte mich hilflos. Ich bekam den Befehl SOFORT meine Schwestern zu holen und sie in das Auto zu verfrachten und ich sollte dem Siggi Bescheid sagen und ihn holen. Wer ist Siggi und wo wohnt der und wo steht unser Auto, wie muss ich laufen, damit ich da hinkomme? Viele Fragen und nur eine Schelle als Antwort, mit der Wiederholung der mir zugeteilten Aufgabe. Ich solle die Weiber herausschaffen und das Auto her.
Ich (ca. 6) holte meine Schwestern (3,4) und schleifte sie auf die Strasse und lief diese erstmal auf und ab, bis ich das Auto fand, heute Nacht standen besonders viele Autos hier herum. Sie heulten, weil sie wussten, was nun wieder kommt und steigerten so noch mein Stresslevel zusätzlich. Als sie im Auto waren bin ich durch die Siedlung gerannt um eine Eingebung zu diesem Siggi zu bekommen, ich konnte mich nicht erinner, wer das gewesen sein soll. Kein Wunder bei soviel Leuten, die immer um uns herum waren. Als ich ihn nicht fand, klingelte ich einfach irgendwo und fragte nach Siggi, bekam aber nur Schimpftiraden zu hören. Also ging ich zurück zum Auto, wer weiss, was die Weiber schon wieder angestellt hatten. Ich setzte mich auf den Fahrersitz und male mir aus wie ist wohl funktioniert das Auto zu bewegen, ich hatte ja schon sehr oft zugeschaut. Meine Beine waren zu kurz, um an die Pedale zu kommen und gleichzeitig aus dem Fenster zu schauen, also liess ich es. Kaum aus dem Auto draussen kam meine Mutter gerannt und schrie irgendwas, als sie am Auto war und sie merkte, dass Siggi nicht da war und das Auto nicht lief, klatschte es erstmal. Das hatte ich nun davon, dass ich alles Mögliche versucht habe. Egal, ich kenns net anderst, wahrscheinlich habe ich genau das verdient, weil ich einfach Scheisse bin.

(CUT)

Wieder einmal werde ich nachts aus dem Bett gerissen und ins Auto gezerrt. Geheule, Geschrei, Hysterie, niemand klärt mich auf, niemand schaut nach mir, alle springen sie um die Mutter herum und wehklagen. Keine Ahnung, was diesmal wieder los war. Die Fahrt scheint endlos. Dann stoppt das Auto. Es ist mitten in der Nacht, wir halten bei einem Bahnhof. Ich kann die Züge sehen. Jemand steigt aus und geht zu der Telefonzelle, die am Bahnhofsgebäude steht. Kurzes Gespräch, dann gehts weiter. Wir kommen an ein fremdes Haus mit fremden Leuten. Die Gruppe mit uns Kinder musste im Gang warten, die Mutter wird in ein Zimmer gerufen und sie sprechen. Die Tür steht offen. Dann schauen ein paar Frauen in den Gang und 2 Stück kommen auf uns zu und nehmen meine Schwestern auf den Arm und trösten sie und gehen mit ihnen irgendwohin im Haus. Mich lässt man stehen, ignoriert mich. Eine Frau zeigt mit dem Finger auf mich und schreit hysterisch „der hat hier nichts zu suchen“, „aber das ist doch noch ein Kind“, „egal, Mann ist Mann, der muss sofort hier raus“, „wo soll er denn hin, das arme Würmchen?“, „das ist mir egal, der muss weg, schmeiss ihn naus!“. Am nächsten Tag gingen die Frauen mit meinen Schwestern und einigen anderen Kindern ins Kino in „Dschungelbuch“. Ich durfte nicht mit.

Heute weiss ich, ich war in einem sogenannten „Frauenhaus“.

(CUT)

Meine Mutter hatte eine Zeitlang einen „Freund“, der immer soff und regelmäßig am Wochenende deswegen bei uns auftauchte und uns und die Hütte kurz und klein schlug. Mit dem hatte ich auch einige Erlebnisse.

Jedes Mal, wenn der da war, war das ein Spiessrutenlauf der Sonderklasse für mich. Der mobbte mich, wo es nur ging. Permanent machte er mich verbal runter („du bist so bleed, du kannst nix und du gehörst erschlagen“). Ich kam vom Klo und er stand hinter einer Ecke und im Vorbeigehen hat er mir eine heruntergehauen und gemeint ich solle in Zukunft besser aufpassen. Der musste auch ständig aufs Klo, wenn ich grad reinging und dann war der da ’ne halbe Stunde. Als ich es nicht mehr halten konnte, ging ich ins Bad und pisste in die Wanne. Natürlich war der auch gleich zur Stelle, um mich dafür zu verprügeln. Der meinte dann, dass ich – wenn überhaupt – das gefälligst vom Balkon machen sollte, da hing eine Regenrinne. Die Situation liess nicht lange auf sich warten und dann bekam ich Klatsche dafür, dass ich genau das gemacht hatte, was mir angeordnet wurde.

An einem Sonntag kam ich vom Klo und hatte vom Frühstück (eine der seltenen Tage, an denen es was gescheites zu essen gab) noch ein Stück Eierschale im Mund, welches ich gedankenverloren versuchte herauszuspucken, natürlich stand in genau dem Moment „er“ vor mir, als das gelang und die Schale (stecknadelkopfgross) landete auf seinen Hausschuhen, er sagte nicht, aber der Blick sagte mir alles. Am selben Abend zerbrach deswegen erneut ein Rührlöffel an meinem Arsch.

(CUT)

An einem Wochenende fuhren wir an den Neckar zu einer Bootsfahrt. Ich fand das aufregend und vor allem wusste ich, dass ich zumindest in der Öffentlichkeit nicht verdroschen wurde. Es war so ein flaches Ausflugsschiff. Alles war schön, alles war super, es gab sogar Kuchen. Dann kamen wir an eine Schleuse, ich war neugierig, was das war und wie das funktionierte. Meine Mutter hatte den grandiosen Einfall „ihn“ mit mir nach vorne auf das Schiff zu schicken, damit wir besser sehen können. Egal, hier werde ich sicher net verdroschen, also was soll schon schiefgehen, dachte ich. Vorne angekommen machte mir diese überdimensionale Schleuse etwas Muffensausen. Zur Aufmunterung bekam ich folgendes zu hören: „Schau dir des an du kleines Arschloch, da unten sind Strudel, wenn du da reinfällst, zieht der dich unter Wasser und du ersäufst ganz langsam und kriegst alles mit“, er packte mich „zum Schutz“ am Kragen und zog mich an die Reling, damit ich das sprudelnde Wasser genau sah, „jetzt könnte ich dich ohne Probleme einfach da herunterschmeissen und keiner wird merken wie du jämmerlich ersäufst, wie dich der Strudel unter Wasser zieht und du nichts dagegen tun kannst, dann wärst du weg“. Das wurde noch weiter ausgemalt, bis ich mich losreissen konnte und zurücklief.

(CUT)

An einem Wochenende, an dem mal wieder die Wohnung und meine Mutter zerlegt worden ist, fand ich mich am anderen Ende „seines“ Armes wieder und meine Beine hatten keinen Bodenkontakt. Er hatte mich in seiner Rage an meinem Hals gepackt, weil ich ihm Widerworte gab, und mich hochgehoben. Im Hintergrund sah ich nur meine zugeschwollene Mutter auf den Teppich kotzen. Als ich in seine Augen blickte, sah ich blanken Hass, eigentlich wusste ich in dem Alter nicht, was Hass ist, aber als ich ihn in den Augen sah, wusste ich es, genauso erging es mir mit der Todesangst, die ich regelmäßig in den Augen meiner Mutter sah. Ich war am Überlegen, was ich tun könnte und schielte an mir runter um zu gucken, ob ich ihm mit meinen Füssen in die Eier hauen könnte, doch dann wusste ich, dass ich ihm damit erst recht einen Grund liefern würde mich zu killen, also schloss ich mit dem Leben ab, ich gab mir noch 2 oder 3 Sekunden und hoffte, dass es sehr schnell geht. Die Situation stand eine gefühlte Ewigkeit. Doch dann schleuderte er mich quer durch die Wohnung in eine Vitrine, die dann kaputtging. Ich eilte zu meiner Mutter, um ihr zu helfen, er kam dazwischen und schubste mich weg, fragt mich, ob ich Arzt sei und schrie mich an, dass ich hier zu verschwinden hätte, sonst bringt er es doch noch zu Ende.

(CUT)

Ich wurde mitten in der Nacht wach, weil es polterte und ich mal wieder meine Mutter schreien hörte. Plötzlich schlug die Tür zum Kinderzimmer auf und meine Mutter stürmte herein, „er“ hinterher, er hatte irgendwas in der Hand. Es ging ein wildes Handgemenge und Geschrei los. Als ich bemerkte, dass „er“ die Mutter mit einer Drachenschnur erwürgen wollte, schrie ich auf und schmiss meinen zerrupften Teddy nach ihm. Er drehte sich zu mir um und meinte nur trocken „du bist der Nächste, da freu’ ich mich schon lang drauf, du kotzt mich schon lang an, bei dir lasse ich mir besonders viel Zeit“ und wieder mal was da dieser unbändige Hass in den Augen. Nun wachten auch so langsam meine Schwestern auf und weinten laut. So war er kurz abgelenkt. In der Zwischenzeit konnte meine Mutter einen Masskrug (den hatte er mitgebracht vom Münchner Oktoberfest) greifen und ihn mit voller Wucht ihm gegen den Schädel knallen. Blut lief von seiner Stirn, er taumelte. Zuerst dachte ich mir, dass das die dümmste Idee von ihr war, doch der Schlag zeigte Wirkung, die schlug nochmal zu und dann brach der Henkel ab. Sie packte uns Kinder und wieder einmal gings nach Reutlingen ins Frauenhaus.

Fortsetzung folgt.

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