• 15.03.2024

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Mentale Müllentsorgung

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» Artikel vom

Gastautor: Eisfreak

Einmal im Jahr gibt es mit meinem unmittelbaren Vorgesetzten ein LOB-Gespräch. Das ist der hilflose Versuch, eine Art Leistungsanreiz in die träge Verwaltung zu bringen. Da kann man auch gleich versuchen, die grüne Pommestonne zum Hürdenlauf zu motivieren – aber das ist ein anderes Thema.

Jedenfalls fragt er mich, was man noch besser für mich machen könnte. Meine einzige und eindeutige Antwort hieß: Homeoffice für immer!

Am Anfang war es hart für mich, den ganzen Tag isoliert in meiner katzenfreien Dachgeschosswohnung zu sitzen. Man wird auf brutale Weise mit sich selbst konfrontiert. Spontane menschliche Begegnungen finden nur mit dem Amazon-Auslieferer statt. Nach einer Weile habe ich mich daran gewöhnt und genieße die Vorteile: früh eine Stunde länger schlafen, abends eine Stunde eher Feierabend. Der Kaffee schmeckt besser und ich kann mir beliebige Mengen davon zubereiten, ohne erst noch in fünf Büros den Kaffeepegel der Kollegen abzufragen und aufwändige bürokratische Vorgänge auszulösen. Jede Tasse im Büro wird sorgfältig in einer Excel-Liste vermerkt. Plötzlich können die Kollegen mit dem Rechner effizient arbeiten, man glaubt es kaum.

Aufgrund gewisser Entwicklungen und weil es mir schlicht zu viel wurde, habe ich mich auch aus einigen losen Freundeskreisen zurückgezogen. Es war einfach zu viel Input. Dabei mochte ich die Jungs und Mädels. Für die war ich eine Art Vertrauenslehrer geworden und demzufolge hörte ich mir ständig eine ganze Liste an Geschichten und Sorgen an.

Ich frage mich überhaupt schon seit längerem, warum Empathie stets als irgendetwas Tolles und Erstrebenswertes dargestellt wird. Zum einen ist die Diskussion rein theoretischer Natur, weil man sich Empathie im Grunde gar nicht antrainieren kann. Das ist eine Frage der persönlichen Gehirnkonfiguration. Dazu zählt erstmal Sensibilität, also ein erweitertes Aufnahmevermögen von Informationen. Dann kommt noch, sagen wir mal „Wohlwollen“ hinzu, also die Fähigkeit, zum Gegenüber in kurzer Zeit eine positive, emotionale Bindung aufzubauen. Ich grätsche in diese rosarot-wolkigen „Empathie“-Verklärungen immer mit dem Argument rein, dass ein Psychopath ja in besonders hohem Maße mit Empathie ausgestattet ist. Dann wollen alle immer plötzlich das Thema wechseln – keine Ahnung, warum.

Der unerwünschte Nebeneffekt für sensible, empathische Menschen mit zahlreichen sozialen Kontakten besteht darin, dass man seine eigenen Themen und Ziele völlig aus den Augen verliert. Warum bei allen Diskussionen soziale Kontakte pauschal und stets als erstrebenswert gelten – na ja, meine Antwort kann sich ja jetzt jeder selber denken.

Nachdem ich nun meine Familienzeit erfolgreich beendet hatte, war ich flugs in den nächsten Mahlstrom gesprungen. Zugegeben, es hatte mir die Trennung erheblich erleichtert – jedoch um den Preis der teilweisen Selbstaufgabe. Eine hohe Dichte an Sozialkontakten hat immer eine normierende Wirkung. Logisch, je größer die „Stichprobe“ ist, desto mehr gerate ich im Kriterium der Besonderheit an den wahren Mittelwert.

Zurück zum Homeoffice. Langsam begannen sich meine Gehirnstrukturen wieder zu normalisieren. Weniger Sozialkontakte – weniger Input an fremden Problemen. Den Freundeskreis sehe ich ja trotzdem noch, aber ohne diesen „Overhead“ an Gequassel und Gequake, wer nun zur Ausübung des Sports erscheint, wer mit wem fast zusammen, richtig zusammen, gerade noch zusammen oder endgültig nicht mehr zusammen ist. Wer kommt, der kommt – und dann sieht man sich. Fertig. Das Leben kann so entspannend sein, sobald man WhatsApp deinstalliert hat, haha.

Mit der Zeit kam ich jedenfalls immer besser mit mir und den reduzierten Kontakten zurecht. Aktivitäten werden nur noch mit einer kleinen Zahl langjähriger, handverlesener Freunde durchgeführt. Die meisten Freizeitaktivitäten bin ich alleine unterwegs. Ist man einmal über die Anfangshürden hinweg gekommen, wird das Alleinsein immer besser. Es ist so wunderbar entspannend und ruhig. Man folgt seinem eigenen, natürlichen Rhythmus, kann spontane Entscheidungen treffen und hat den ganzen Tag vorwiegend seine Projekte und Ziele im Kopf.

Arbeitsbedingt nehme ich an vielen Meetings teil und kommuniziere häufig. Das ist in Ordnung, dafür werde ich bezahlt und es geht in der Mehrzahl der Fälle ja um Sachthemen. Privates wird auch gerne angesprochen, aber man kann sich ja jederzeit wieder in den Arbeitsbereich zurückziehen, ohne dass man mit Enttäuschungsreaktionen des Gegenübers konfrontiert wird.

Mit der Zeit verarbeitet man Geschehnisse aus der Vergangenheit besser, weil die dafür nötigen mentalen Kapazitäten nicht mit dem Tagesgeschehen ausgelastet sind.
Die wenig überraschende, hauptsächliche Erkenntnis lautet: Die meisten Menschen wollen sich gar nicht helfen lassen oder ihr Leben ändern. Keiner, aber auch wirklich keiner, ist an Persönlichkeitsentwicklung interessiert. Exzellenz wird nicht angestrebt, Ambitionen gibt es höchstens beim Saufen und Pizza in sich hineinstopfen.
Es gilt das Motto: „Was kommst Du mir mit einer Lösung, wo ich mich so an das Problem gewöhnt habe?“.

In dem Sinn ist nahezu jeder Kontakt, der über belanglosen Smalltalk hinausgeht, Energieverschwendung. Weil dabei nichts entsteht, nichts aufgebaut wird, keine Entwicklung stattfindet, keine Erkenntnisgewinnung festzustellen ist. Falls jemand wirklich wie ein Löwe kämpft, es aber einfach nicht selber schafft – ich wäre der Letzte, der nicht hilfsbereit zur Seite stünde. WENN es zu etwas führt!

Tatsächlich ist man in der Mehrzahl der Fälle nur das Heulkissen. In Fachkreisen wird das „Entlastungsgespräch“ genannt. Aber die Fachkreise werden dafür auch bezahlt – mich hält es davon ab, endgültig das ultimative Inline Skate Setup zu finden oder die Aktivitäten für das Wochenende zu planen.
Durch diese Art Zuhören hilft man nicht nur dem Gegenüber nicht, man macht es sogar noch SCHLIMMER. Die „Entlastung“ führt dazu, dass der zum Ändern notwendige Schmerz abgebaut wird und sich das destruktive Verhalten regelrecht perpetuiert. Das hält natürlich nicht lange vor, aber da man ja so ein guter Zuhörer ist, ist man dann gleich wieder gefragt. An der Stelle meine übliche Empfehlung: „Red mit mir“ von den Ärzten. Das Lied ist besser als ganze Regalmeter psychologischer Literatur!

Endgültig untauglich für den üblichen Normierungszwang dieser Menschenherden hat mich mein diesjähriger Urlaub gemacht. Treue MM-Leser haben die Fotos und Berichte gesehen. Vier Wochen mit Minimalgepäck habe ich mich in den Visegrád-Staaten herumgetrieben. Solange war ich noch nie unterwegs. Die Planung erfolgte recht spontan nach Wetter und Laune, gewisse Ziele hatte ich vorab recherchiert, der Rest wurde dann situativ festgelegt. Ich habe das Gefühl, dass ich nun endgültig für dieses Gemache und Getue verdorben bin. Da schaue ich nur noch staunend zu, mir reichen die angespannten Gesichter, das hektische Gestikulieren, ich muss gar nicht wissen, was die da brabbeln.

Es war ein langer Ritt, ich war in Vereinen tätig, suchte das Bad in der Menge, hatte immer große Freundeskreise. Anfang der 90er konnte man sich gar nicht entscheiden zwischen den ganzen Festen, Events und Partys. Wer da zu Hause an der Nähmaschine gesessen hätte, wäre als zurückgeblieben klassifiziert worden. Laut, schrill und aggressiv – mit einem Wort „Technomusik“ – das war die Zeit.
Dann kam mit aller Macht der Wunsch auf, seiner biologischen Bestimmung gerecht zu werden. Die Familiengründung stand auf dem Plan. Um dieses Ziel nicht zu gefährden, meinte ich, Madame jeden Wunsch von den Lippen ablesen zu müssen. Eigene Bedürfnisse rückten in den Hintergrund. Ein Kardinalfehler ersten Ranges, wie ich dann bitter erfahren musste.

Ja, ich habe eine ganze Menge „Müll“ aus meinem Gehirn geschaufelt. Unglaublich, wie lange die Konditionierung noch anhält, wie man noch lange nach der Trennung beim Einkaufen auf die Lieblingssachen der Exfrau abgerichtet ist, das ist schon beängstigend.

Irgendwo habe ich sie gelesen – die Prioritätenreihenfolge. Die ich mir jeden Tag aufs neue vor Augen halte, um mit meinen speziellen Veranlagungen nicht zum Rückfalltäter zu werden.

Die Prioritätenliste sieht so aus:

1) Ich.
Das ist nur gesunder Egoismus. Wenn es mir schlecht geht, wenn ich mich nicht um mich kümmere – wem nützt das dann? Nur ich kenne meine Bedürfnisse, und kann die meisten davon auch am besten erfüllen.

2) Familie.
Die Familie steht über der einzelnen Person. Familie kann die eigene Familie sein, oder die Herkunftsfamilie, ersatzweise ein besonders enger Freundeskreis.

3) Partnerin.
Ja, die kommt erst jetzt. Das Gesetz habe ich verletzt und die Partnerin seinerzeit an die erste Stelle gesetzt. Don‘t try this at home, kids!! Das geht nie gut aus.



Weiterführender Link: TrennungsFAQ
Ratsuchende Väter finden im TrennungsFAQ-Forum konkrete Hilfe

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